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Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wittig
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einfach zu auffällig. Durch das upcoding müssen die Patienten dann auch tatsächlich aufwendiger behandelt werden. Mit allen damit verbundenen Risiken.
    Bei Osteoporosepatienten mit Schmerzen an der Wirbelsäule beispielsweise reichen jetzt Krankengymnastik und Schmerzmittel nicht mehr aus. Dafür gibt es kaum Punkte. Jetzt ist eine Vertebroplastie die Methode der Wahl. Hier wird mit einer Hohlnadel Knochenzement in die Wirbelkörper gespritzt, um sie zu stabilisieren. Die Operation gilt zwar als einfach und relativ sicher, aber eine Operation an der Wirbelsäule ist immer auch mit einer Schwächung des stützenden Bänderapparates vor Ort verbunden. Und das ist etwas, was gerade Osteoporosepatienten nicht gebrauchen können. Es wird Sie nicht wundern, dass es für diese OP viel mehr Punkte gibt als für die simple Krankengymnastik. 4500 bis 6000 Euro kostet das Einspritzen von Knochenzement die Kasse. Upcoding für mehr Kohle. Und das kleine Restrisiko, den betagten Patienten ein Querschnittsyndrom zu verpassen, nehmen die Krankenhäuser in Kauf.
    Prof. Ralf Kölbel ist Rechtswissenschaftler an der Universität Bielefeld. Für den AOK-Bundesverband hat er ein Gutachten über die Arbeit des MDK erstellt. Er hat diese Arbeit »aus kriminologischer Perspektive bewertet«. 24 Keine leichte Aufgabe. Vor allem weil es für die Krankenhäuser keine systematische Erfassung dieser Betrugsversuche gibt. Das ist erneut ein Beispiel für die unglaubliche Intransparenz, die im Deutschen Gesundheitssystem in vielen heiklen Zusammenhängen existiert. Hier geht es potenziell um versuchten Abrechnungsbetrug in 800 000 Fällen in jedem Jahr. Was das für die Patienten an Überbehandlung bedeutet, lässt sich nur schwer schätzen. Die Zahl der Fälle, in denen die Überbehandlung strafrechtlich den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, dürfte – vorsichtig geschätzt – im oberen fünfstelligen Bereich liegen. Die finanzielle Seite ist deutlich leichter zu beziffern: Der Medizinische Dienst der Krankenkassen gibt selbst ein jährliches Rückforderungspotenzial von 1,5 Milliarden Euro an.
Keine Sanktionen für betrügerisches upcoding
    Dabei war mir lange ein kleiner, aber nicht ganz unwichtiger Sachverhalt völlig unverständlich: Diese Fälle werden »im Verborgenen geregelt«. Zwischen den Kassen und den Krankenhäusern. Polizeiliche Ermittlungen? Fehlanzeige. Sanktionen für diese Betrugsversuche, bei denen es ja nicht nur um Geld, sondern auch um die körperliche Unversehrtheit geht? Gibt es nicht! Das Schlimmste, was den Krankenhäusern passieren kann, ist, dass sie von den Kassen die »aufgebohrten Behandlungen« nicht in dem Umfang bezahlt bekommen, wie sie es gerne hätten. Ich frage Sie: Ist es nicht sonnenklar, dass die Krankenhäuser beim nächsten Mal den Betrug wieder versuchen? Möglichst etwas raffinierter. Damit das upcoding und die damit verbundene »Überbehandlung« bei der nächsten Kontrolle nicht erkannt werden. Die weiße Mafia ist in Deutschland offenbar eine derartig ehrenvolle Gesellschaft, dass sie Verbrechen im großen Stil begehen darf, ohne dafür belangt zu werden.
    Vielleicht lohnt es auch noch einmal, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass diese Zahl: 800 000 Fehlabrechnungen bzw. Überbehandlungen, bei der Überprüfung von nur 12 Prozent aller gestellten Rechnungen zustande kommt. In den USA, wo ein DRG-System in Teilen des Gesundheitswesens schon viel länger existiert, werden die Abrechnungen seit Langem gründlicher untersucht. Durchschnittlich 18 Prozent der Rechnungen wiesen »entgeltrelevante Codierungsfehler« auf. 25 Der Bielefelder Kriminologe Prof. Kölbel legt in seinem Gutachten nahe, dass diese Fehler nicht aus Versehen in dieser Größenordnung auftreten, sondern bewusste Manipulationsversuche waren. Der Rechtswissenschaftler schreibt: »Diese Deutung wird durch Befragungen gestützt, in denen nahezu die Hälfte des interviewten Codierpersonals angab, von ihrem Management zu einer grenzwertig erlösmaximierenden Codierung angehalten worden zu sein.« 26 Was sich hinter dieser Formulierung »grenzwertig erlösmaximierend« am Ende exakt verbirgt, ist wieder nur schwer zu schätzen. Aber eines ist sicher: Zum Wohle der Patienten wird es nicht sein.
    Dazu noch eine Zahl aus der Pressemitteilung der Deutschen Chirurgischen Gesellschaft zu ihrem Jahreskongress 2012: Der Kongress, auf dessen Eröffnungsveranstaltung der Präsident der Chirurgischen Gesellschaft seine Kollegen aufrief,

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