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Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wittig
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sich gegen die von Klinikleitungen geforderten, allein wirtschaftlich motivierten Operationen zu wehren. In der Pressemitteilung stand auch: »In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der behandelten Fälle in deutschen Krankenhäusern um eine Million erhöht.« Das DRG-System hat die »Produktivität« unserer Kliniken offenbar enorm gesteigert.
»grenzwertig erlösmaximierende Codierung«
    Die weiße Mafia genießt in unserer Gesellschaft enorme Freiräume. Allerdings ist der rechtliche Hintergrund relativ leicht zu verstehen, der diesem gigantischen Missbrauch in unserem Medizinsystem Vorschub leistet: Den Codierern in den Krankenhäusern, den Gynäkologen, die gesunde Gebärmütter explantieren, und all den anderen, die sich mit unnützen medizinischen Prozeduren schamlos an unserem Gesundheitssystem bereichern, müsste man Vorsatz nachweisen, um rechtlich gegen sie vorgehen zu können. Bewusste Täuschung. Das ist im Einzelfall kaum möglich. Denn: Irren ist menschlich. Darauf können sich die Mediziner im Zweifelsfall immer zurückziehen. Deshalb werden auch Sie, wenn Sie merken sollten, dass Sie Opfer einer geldgierigen Klinik geworden sind, vor Gericht fast immer verlieren. Und deshalb nehmen Gerichte entsprechende Klagen in der Regel gar nicht erst an. Am Ende des Buches möchte ich einige Vorschläge anbieten, wie wir der weißen Mafia mit anderen Strukturen im Gesundheitssystem das Leben schwer machen könnten. Wie das Gesundheitssystem effizienter und patientenorientierter gemacht werden könnte. Aber bis dahin gibt es noch so manchen bitteren Zusammenhang zu beleuchten.
    Einen Aspekt zum Thema »Krankenhäuser unter Druck: Das Geschäft muss brummen« möchte ich gerne noch ansprechen. Unter dem Titel »Das Ende der Schweigepflicht « gab es im Mai 2012 im ZEITmagazin einen größeren Artikel, in dem Ärzte und Ärztinnen anonym über den wirtschaftlichen Druck in ihren Krankenhäusern berichteten. Und über die Folgen, die sich für die medizinische Versorgung daraus ergeben. Da berichtet ein Wirbelsäulenchirurg von einem relativ jungen Begriff in seiner Disziplin: »Zielleistungsvereinbarungen«. In seinem Krankenhaus, schreibt er, sind leitende Ärzte zum Klinikvorstand gerufen worden, um solche »Zielleistungsvereinbarungen« auszuhandeln. Es geht bei diesen Vereinbarungen um eine Steigerung der Zahl der Eingriffe, die mit einem Bonus vergütet werden. Der Chirurg berichtet über das Angebot:
    »Am Jahresende würde ich 5000 Euro bekommen, wenn ich dafür sorgte, dass die Zahl der ›Case-Mix-Punkte‹ in meinem Bereich – der Wirbelsäulenchirurgie – jährlich um zwei Prozent steigt. (Im DRG-System gibt es für jede therapeutische Maßnahme eine bestimmte Punktezahl, aus der sich die Summe errechnet, die das Krankenhaus von der Kasse bekommt.) Ich sagte, dass ich keinen Sinn darin sähe, einen solchen Vertrag zu unterschreiben, weil ich weder die Zahl der Patienten noch ihre Krankheiten oder ihre Therapien beeinflussen könne, lehnte dankend ab und ging.« 27 Er schreibt aber, dass 80 Prozent seiner Kollegen diese Vereinbarungen unterschrieben hätten. Man muss sich das wirklich vergegenwärtigen: Welch menschenverachtende Grundeinstellung gehört dazu, von Mitarbeitern zu verlangen, mehr chirurgische Eingriffe vorzunehmen, als medizinisch angezeigt sind! Und was denken die Chirurgen eigentlich in dem Moment, wenn sie den Deal unterzeichnen?
    Der Arzt erklärt weiter: »DRG-Punkte sammeln ist die höchste Maxime unseres Hauses, und viele Entscheidungsträger haben sich ihr per Bonusvertrag unterworfen. Mit den Verträgen hat sich auch die Stimmung in den Konferenzen geändert. Die meisten haben sich daran gewöhnt, dass in dieser Grauzone, in der es auch für die unsinnigste Indikation eine Studie gibt, manchmal medizinisch fragwürdige Entscheidungen getroffen werden. Ich glaube, den jüngeren Kollegen fällt das gar nicht mehr auf. Sie kennen es ja nicht anders.« 28
    Zur Klärung: In diesen Konferenzen besprechen die Mediziner Krankenfälle. Es wird abgewogen, ob und, wenn ja, welche medizinische Maßnahme sinnvoll ist, um Patienten bestmöglich zu helfen. Zumindest war das früher so. Heute ist es offenbar Sinn der Konferenzen, sich gemeinsam darauf zu verständigen, was denn der jeweils ertragreichste Eingriff ist, der sich mithilfe obskurer Studien gerade noch rechtfertigen lässt.
    Da fällt mir noch eine Begebenheit ein. Als ich für meine SWR-Dokumentation Betrifft: Überflüssige

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