Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Wie war das noch mit dem Hippokratischen Eid? Der oberste Grundsatz: Nicht schaden! Wie weit muss es mit diesem Medizinbetrug gekommen sein, dass der Präsident der Fachgesellschaft in seiner Eröffnungsrede auf dem Jahreskongress die Chirurgen auffordert, »sich unnötigen Operationen aufgrund wirtschaftlichen Drucks zu widersetzen«?
Außerdem zitiere ich diese Pressemitteilung noch aus einem anderen Grund: Sie macht Hoffnung. Sie zeigt, dass die Mafia die Medizin nicht zu hundert Prozent bestimmt. Sogar im medizinischen Establishment gibt es offenbar rechtschaffene Personen, die sich nicht auf die betrügerischen Machenschaften einlassen wollen, sondern öffentlich dagegen Stellung beziehen. So wie es in diesem Fall Prof. Büchler tut, wenn er gegen die Ökonomisierung der Kliniken wettert.
Als ich für meine SWR-Dokumentation Betrifft: Überflüssige Operationen Interviewpartner suchte, war das hartes Brot. In Deutschland war es damals, 2009, kaum möglich, ausgewiesene Fachleute zu finden, die bereit waren, vor der Kamera öffentlich das anzusprechen, was im Fachjargon etwas verniedlichend »Überversorgung« heißt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sagte mir noch am Drehtag per Handy ab. Plötzlich hatte der Gesprächspartner einen wichtigeren Termin. Das wunderte mich nicht. Warum sollte die Deutsche Krankenhausgesellschaft kritisch gegen Überversorgung Stellung beziehen? Schließlich bringt die sinnlose Überversorgung mehr Umsatz als die einfache fachgerechte Versorgung. Auch kann der Interessenverband der Kliniken nicht die kriminellen Machenschaften seiner Mitglieder kritisieren. Doch selbst von Universitätsinstituten für Gesundheitsökonomie bekam ich Absagen. Ich brauchte etwas länger, um zu verstehen, dass natürlich auch diese Institute gerne Drittmittelprojekte aus der Gesundheitsindustrie annehmen. Beziehungsweise, dass sie ungern das Versiegen dieser Einnahmequelle durch unvorsichtige Äußerungen in der Öffentlichkeit riskieren.
Der österreichische Blinddarm
Ich wurde schließlich in Österreich fündig. Der Buchautor 21 und Krankenhausökonom Dr. Ernest Pichlbauer ist ein unermüdlicher Streiter gegen irrationale Strukturen im Gesundheitssystem. In seiner Kolumne in der Wiener Zeitung prangert er regelmäßig Fehlsteuerungen und Absurditäten im österreichischen Gesundheitssystem an. Als ich Dr. Ernest Pichlbauer für unsere Fernsehaufnahmen in einem Wiener Kaffeehaus treffe, erlebe ich ihn als einen gut gelaunten Krankenhausfachmann, der eher eine heitere Perspektive auf die Entartungen des Medizinbetriebs entwickelt hat. Er spricht über auffällige nationale Unterschiede bei den operativen Eingriffen, sozusagen über »nationale Operationskulturen«, und fängt bei seinem eigenen Land an. Er vergleicht Operationszahlen in Europa:
»Da gibt es ein schönes Beispiel aus Österreich. Wir operieren doppelt so viele Blinddärme, wie eigentlich epidemiologisch auftreten können. Jetzt stellt sich die Frage: Haben wir ein wirkliches Epidemieproblem? Sind bei uns die Blinddärme vielleicht leichter entzündbar als überall anders? Oder redet irgendjemand dem Patienten etwas ein?«
Da redet jemand dem Patienten etwas ein! Und dieser Irgendjemand ist der Arzt, der von diesem Eingriff profitiert. Ist es nicht erstaunlich, wie willkürlich die »Operationskulturen« offenbar zu gestalten sind? Es klingt absurd, aber der Blinddarm ist in Österreich das, was die Gebärmutter von Frauen nach der Menopause vielfach in Deutschland ist. Etwas, was man herausschneiden kann, ohne dass den Operierten nachher etwas Lebenswichtiges fehlt. Das macht die überflüssigen Operationen in den Augen vieler Chirurgen offenbar zum Kavaliersdelikt. Ein Delikt, mit dem man ganz schön Kasse machen kann, ohne dass jemand da ist, der mit Kontrolle oder Strafe drohen könnte. Wobei der Krankenhausökonom Dr. Pichlbauer einräumt, dass schwere, risikoreiche Operationen wohl seltener aus Gewinnsucht vorgenommen werden. Mit einem süffisanten Lächeln auf dem Gesicht erklärt er: »Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass Herzoperationen plötzlich massiv steigen. Aber die Herzkatheteruntersuchung, da liegt ihr ja in Deutschland ohnehin weltweit an der Spitze. – Ich weiß nicht, doppelt so viele Herzkatheteruntersuchungen wie der europäische Schnitt. Da sieht man schon, dass hier nicht mehr aus medizinischen Gründen vorgegangen wird, sondern um Auslastung zu erreichen. Und das ist eine angebotsinduzierte Nachfrage,
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