Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wittig
Vom Netzwerk:
Sowieso ist seit fünf Jahren Präsident seiner Medizinischen Fachgesellschaft und da natürlich für sein Fachgebiet – Nahrungsergänzung – der maßgebliche Fachmann. Können Sie sich vorstellen, dass diese Fachgesellschaft sich unter der Leitung dieses Mannes vom Konzept der Nahrungsergänzung mit Vitaminen verabschiedet? Ich nicht! Er müsste zugeben, dass er einem Irrlicht gefolgt ist. Dass er vielleicht den Einflüsterungen der Hersteller erlegen ist. Er steht mit seinem ganzen Namen für die Sinnhaftigkeit der Vitaminpräparate. Er kann dieses Konzept nicht einfach aufgeben, nur weil ein Fortschritt der medizinischen Erkenntnis zeigt, dass es falsch ist. Sein Lebenswerk wäre zerstört. Und das kränkt die Eitelkeit doch ganz erheblich. Das wird der Professor nicht zulassen. Er wird die Studie ignorieren oder schlechtmachen, wird auf seine eigene Forschung hinweisen. (Im Reagenzglas klappt der Zellschutz durch Vitamine hervorragend!) Auf Kongressen wird er mithilfe neuer Studien der Hersteller zum Gegenangriff übergehen. Und in der Fachgesellschaft wird sich keiner trauen aufzumucken. Denn immer noch ist er der Boss. Die Mitglieder werden der Eminenz nicht an den Karren fahren. Die Gefahr, der eigenen Karriere dadurch heftigen Schaden zuzufügen, ist einfach zu groß.
Supertanker Medizinische Fachgesellschaft
    Diese Orientierung an Persönlichkeiten macht die Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften entscheidungstechnisch zu Supertankern. Reagieren auf aktuellen Erkenntnisfortschritt? Kaum möglich. Zu träge ist das Schiff. Kurskorrekturen brauchen mitunter Jahrzehnte und prinzipielles Umsteuern ist frühestens möglich, wenn der Kapitän von Bord gegangen ist.
    Das sind die drei großen Strukturprobleme unserer »Medizinischen Selbstverwaltung«: persönliche Eitelkeiten, systemimmanente Verflochtenheit mit der Industrie und am Eigennutz der Fachrichtung orientierte (und damit auch am persönlichen wirtschaftlichen Vorteil orientierte) Zurichtung der Leitlinien. Stichwort: der Bock als Gärtner. Sie werden vielleicht fragen: »Ja, aber wie soll es denn sonst gehen? Letztlich müssen doch immer die Experten entscheiden, was richtig und was falsch ist.«
    Wir werden im Kapitel 10, »Was getan werden müsste«, Alternativen zur »Medizinischen Selbstverwaltung« beleuchten. Am Ende dieses Kapitels nur noch eine Bemerkung: Es gibt eine Qualitätsrangfolge in der evidenzbasierten – der wissenschaftlichen – Medizin. An der obersten Stelle dieser in wissenschaftlichen Kreisen weltweit akzeptierten Rangfolge stehen Metaanalysen wie die tatsächlich existente Vitaminstudie, die von Prof. Sowieso geflissentlich ignoriert wird. Diese Metaanalysen basieren auf Einzelstudien, die nach strengen Kriterien ausgewählt und zusammengefasst werden. Das ermöglicht schlicht die am besten gesicherten Aussagen zu einem medizinischen Sachverhalt. Im Ranking weiter unten stehen Einzelstudien in der Reihenfolge entsprechend den Qualitätsstandards, denen sie genügen. Ganz unten, also mit der geringsten wissenschaftlichen Evidenz, steht in diesem Qualitätsranking – was meinen Sie? – die Expertenmeinung.

Krankenhäuser: Das Geschäft muss brummen
    »Berlin, 24. April 2012 – Mit einer klaren Kritik an der zunehmenden Ökonomisierung in Kliniken hat der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), Professor Dr. med. Markus W. Büchler, den diesjährigen Chirurgenkongress in Berlin eröffnet. In seiner heutigen Eröffnungsrede rief Markus Büchler die Mediziner auf, sich unnötigen Operationen aufgrund wachsenden wirtschaftlichen Drucks zu widersetzen. ›Wir Chirurgen müssen uns für eine ausschließlich patienten- und krankheitsorientierte Chirurgie einsetzen‹, forderte der DGCH-Präsident. …«
Operationen aufgrund wachsenden wirtschaftlichen Drucks
    Ich zitiere diese in meinen Augen historische Pressemitteilung hier aus zwei Gründen. Zum einen ist sie ein starker Beleg für das zentrale Thema dieses Buches: Wir werden mit überflüssiger Medizin überzogen. In der Apotheke, beim Facharzt, im Krankenhaus. Überall wird uns unter dem Vorwand, es ginge um unsere Gesundheit, Geld abgeknöpft. Und wenn es wenigstens nur das wäre. Doch wir bekommen dafür in vielen Fällen etwas, was uns im günstigsten Fall nichts bringt, mit etwas Pech aber enorm schadet: überflüssige Leistungen aus dem ganzen Sortiment der Gesundheitsindustrie – von der Vitaminpille bis zum chirurgischen Eingriff.

Weitere Kostenlose Bücher