Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
der Suche nach dem Grund für die sklerotischen Plaques in den Arterien. In diesen Plaques hatte man unter anderem das Cholesterin entdeckt. Ein Fett, das auch in Gallensteinen nachgewiesen worden war. Also ein böses Fett! Tatsächlich ist es aber gar nicht verwunderlich, dass man dem Cholesterin an unterschiedlichen Orten im Körper begegnet. Denn Cholesterin kommt praktisch überall im Körper natürlicherweise vor. 90 Prozent des Cholesterins, das in unserem Blut schwimmt, stellen wir selbst her. In unserer Leber. Der Stoff ist so wichtig für uns, dass wir in der Evolution praktisch zu »Selbstversorgern« geworden sind.
In jeder einzelnen Zelle ist es ein wichtiger stabilisierender Bestandteil der Zellwand. Das Gewebe des Herzens enthält besonders viel Cholesterin (10 Prozent der Trockenmasse!), weil die dort besonders gestressten Muskelzellen es dringend benötigen. Im Gehirn gibt es keine neuen Verschaltungen von Synapsen ohne Cholesterin (deshalb können Cholesterinsenker zu Gedächtnisverlust führen). Cholesterin ist für die Bildung einiger Hormone unerlässlich. Und, und, und. Das alles wusste Alexander Ignatovski im Jahr 1908 noch nicht. Aber er wusste, dass Cholesterin in den Plaques zu finden war. War vielleicht ein hoher Spiegel von Cholesterin im Blut für die Entwicklung der Arteriosklerose verantwortlich? Wenn dem so wäre, ergäbe sich vielleicht die Möglichkeit, über die Ernährung den Blutfettspiegel zu beeinflussen und die Arteriosklerose so mit einfachsten Mitteln zu bekämpfen. Eine wirklich verlockende Perspektive!
Versuchskaninchen sollten helfen, diese These zu überprüfen. Ignatovski rührte für die Tiere eine Cholesterinextremdiät an. Eine Futterpaste aus Hirn und Ei. Beides reich an Cholesterin. Damit konnte Ignatovski den Spiegel des verdächtigen Fettes im Blut seiner Kaninchen ordentlich nach oben schrauben. Wie er seine Kaninchen dazu bekam, diese Paste zu futtern, ist nicht überliefert. Freiwillig werden die armen Tiere diese artfremde Spezialdiät nicht zu sich genommen haben. Und gut bekommen ist sie ihnen auch nicht. Ignatovski sezierte die Tiere und fand in ihren Arterien mustergültige sklerotische Veränderungen. Ein tolles Ergebnis, das damals die These stärkte: Viel Cholesterin im Blut bedeutet ein hohes Risiko für Arteriosklerose. Dass Pflanzenfresser für die Überprüfung dieser Zusammenhänge nicht geeignet sind, fiel damals offenbar nicht weiter auf. Tatsächlich ist es in den letzten hundert Jahren nicht gelungen, einen entsprechenden Zusammenhang beim Menschen nachzuweisen. Im Gegensatz zu den Pflanzenfressern gibt es bei uns Allesfressern keine statistische Verbindung von hohem Cholesteringehalt im Blut und sklerotischen Veränderungen in den Arterien.
Alter, Cholesterinspiegel und graue Haare
Ein weiteres Indiz, das die Cholesterinhypothese zu stützen scheint, ist die Beobachtung, dass der Cholesterinspiegel im Alter steigt. Genau wie das Risiko für Arteriosklerose mit dem Alter zunimmt. Aber im Alter ändert sich, ehrlich gesagt, so manches: Haare werden grau, die Haut bekommt Falten, wir schlafen weniger. Kämen Sie auf die Idee, eine Behandlung mit Botox (Falten weg) oder Haarefärben oder Schlafmittel könnte das Risiko für die Erkrankung der Arterien mindern? Natürlich nicht. Okay, man könnte sagen: Das Cholesterin schwimmt in den Blutgefäßen und hat dort Kontakt mit den Stellen, die irgendwann die sklerotischen Veränderungen aufweisen. Das ist bei den grauen Haaren nicht der Fall. Aber es bleibt die wichtige wissenschaftliche Regel: Ein gemeinsames Auftreten von Phänomenen (Cholesterinspiegel mit Arterienverkalkung) ist nur ein schwacher Hinweis, dass diese Phänomene ursächlich zusammenhängen könnten. Die Epidemiologie, also die Wissenschaft, die sich mit dem Auftreten und der Verbreitung von Krankheiten in der Bevölkerung befasst, drückt es so aus: Eine Korrelation ist kein Beweis für eine Kausalität. Auf Deutsch: Das gemeinsame Auftreten von zwei Phänomenen bedeutet nicht automatisch, dass das eine der Grund für das andere ist.
Ein Beispiel: In den späten Neunzigern ging für einige Tage die Schreckensmeldung um, starker Kaffeekonsum würde das Risiko für Lungenkrebs erhöhen. Statistisch war das gemeinsame Auftreten von hohem Kaffeekonsum und Lungenkrebs eindeutig zu belegen. Allerdings folgte die Entwarnung auf dem Fuß. Es ist so simpel: Starke Raucher trinken auch überdurchschnittlich viel Kaffee. Die Sucht nach dem
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