Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
vorübergehender Seifenblaseneffekt ist, ohne Einfluss auf die Überlebenschancen oder die Überlebenszeit, werden Studien nach einer solchen Phase der gehemmten Tumorentwicklung oft schon abgebrochen. Das Argument: Man könne der Kontrollgruppe (die ein Placebo oder ein anderes Medikament bekommt) die ja offensichtlich wirksame Behandlung mit dem neuen Medikament nicht vorenthalten. So werden Medikamente durch Zulassungsverfahren geschleust, ohne dass ein echter Nutzen überhaupt erwiesen ist.
Auch dazu eine Studie über die Qualität von Studien: Die Analyse von 48 Zulassungsstudien für Mittel aus der Krebsmedizin im Zeitraum von 1995 und 2004 ergab, dass nur sieben Prozent dieser Studien das durchschnittliche Gesamtüberleben als wichtigstes Kriterium ausgewertet hatten. Dabei gilt das Gesamtüberleben als der unbezweifelbar härteste »relevante klinische Endpunkt« für diese Studien. Bei 41 Prozent der Studien war das progressionsfreie Überleben der »primäre Endpunkt« (also das Hauptkriterium) der Studien. Welch schwache Aussagekraft dieses Kriterium aber für die Bewertung des Nutzens hat, haben wir eben schon gesehen. Bei 48 Prozent der Studien war die sogenannte Ansprechrate das Kriterium. 45 Immer wenn solche Ersatzparameter angesteuert werden, die eine belastbare Aussage über den Nutzen nicht zulassen, ist eigentlich schon klar: Unter dem Strich nutzen die Substanzen wenig oder nichts. Sie steigern nicht die Überlebensrate. Denn wäre das der Fall, hätten die Hersteller das in ihren Studien ja »herausgearbeitet«.
In einer Arbeit von 2011 versuchen die Autoren der Analyse – unter anderem der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, der Onkologe Prof. Wolf-Dieter Ludwig –, sich einen Überblick zu verschaffen, wie die Qualität der Zulassungsstudien sich seither entwickelt hat. »Schwach positiv« könnte die Bilanz zusammengefasst werden. Inzwischen waren es knapp ein Drittel der Zulassungsstudien für onkologische Medikamente, die das Gesamtüberleben als Hauptkriterium ausgewertet hatten. 46
Doch immer noch hatten Studien zur Zulassung ausgereicht, die nach einer Phase »progressionsfreien Überlebens« abgebrochen worden waren. Wie viele davon waren Seifenblasen? Das kann keiner sagen. Man muss solche Studien nach dem geplanten Studienprotokoll bis zum Ende durchführen. Sonst war die ganze Arbeit für die Katz. In einem Fall (es waren insgesamt 18 Studien) verwehrte der Hersteller und Finanzierer der Studie unabhängigen Prüfern den Zugang zu den Studiendaten. (Vergleichen Sie dazu im nächsten Kapitel: die Tamiflu-Groteske.) Solch ein Verhalten ist völlig inakzeptabel. Wie kann man von einem Gesundheitssystem 20 000 Dollar für eine einzige 12-wöchige Therapie mit einem Medikament verlangen und die wissenschaftliche Datenlage zu dem entsprechenden Chemotherapeutikum geheim halten?
In einem anderen Fall fehlte die Randomisierungsliste. Ein starker Hinweis auf Datenmanipulation. Die Randomisierung – die statistisch zufällige Verteilung der Studienteilnehmer auf die zwei Studienarme – ist extrem wichtig. So wird nämlich sichergestellt, dass das zu bewertende Medikament bei seiner Probandengruppe auf Kranke trifft, die medizinisch gleichwertig zu den Probanden aus der Kontrollgruppe sind. Nur so gibt es einen fairen Wettbewerb zwischen dem zu bewertenden Medikament und dem Placebo (oder dem Vergleichsmedikament). Deshalb wird die Randomisierung penibel dokumentiert. Sonst kann man hier besonders leicht die Ergebnisse beeinflussen. Wenn ich in die Kontrollgruppe die Patienten bugsiere, die mir schwächer und anfälliger erscheinen, wird mein Medikament in der Gruppe mit der echten Behandlung am Ende bei der Auswertung besser dastehen.
Und noch eine grundlegende Kritik an den Studien für die Zulassung der belastenden Medikamente: Obwohl die Europäische Behörde für Arzneimittel, die EMA, bei Krebsmitteln dringend empfohlen hatte, auch Daten zur Lebensqualität zu erheben und auszuwerten, gab es diese Daten nur bei sieben der 18 Studien. Sie erinnern sich an Petra: Sie sprach von unbeschreiblichen Schmerzen während der Chemotherapie. Finden Sie nicht auch, dass Patienten und Mediziner ein Recht haben zu erfahren, wie es den Patienten unter der Chemotherapie geht? Mit welchen Belastungen sie sich die eventuell zu erreichende Verlängerung der Lebenszeit erkaufen? Sollte das nicht in jedem Fall Bestandteil der Beratung sein?
Die Autoren der Publikation
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