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Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wittig
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aufwiegen, sondern in Diamanten. Die knapp sieben Gramm, die für eine Behandlung notwendig sind, kosten in den USA 80 352 Dollar. Die Rechnung ist nicht schwer: Um mit diesem Präparat in der Summe eine Lebensverlängerung von einem Jahr zu erreichen, müssen rechnerisch über 800 000 Dollar aufgewendet werden. Das entspricht etwa dem 17-Fachen des jährlichen durchschnittlichen Haushaltseinkommens in den USA. 44 In Deutschland dürften die Verhältnisse sehr ähnlich sein.
    Auch für die Behandlung des fortgeschrittenen Darmkrebses hat Erbitux die Zulassung: Zusammen mit dem Präparat Camptosar (hierdurch kommen etwa 16 000 Dollar an Kosten hinzu) schenkt es seinen Patienten im Schnitt 1,7 Monate Lebenszeit. Doch diese Kombination ist nicht nur sehr kostspielig: insgesamt fast 100 000 Dollar. Sie ist auch sehr giftig. Unter anderem für die Haut. 85 Prozent aller Patienten und 100 Prozent der Patienten, bei denen die Therapie wirkt, entwickeln zum Teil schwere und schwerste Akne. Diese Vergiftungserscheinungen beeinträchtigen das soziale Leben in dieser Zeit erheblich. Mit einem entstellten Gesicht fällt es nicht leicht, die eventuell hinzugewonnene Lebenszeit zu genießen.
    »Erbitux …«, schreiben Tito Fojo und Christine Grady in ihrem Kommentar »How Much is Life Worth … «, »… ist kein Einzelfall, wenn es um einen marginalen Nutzen zu sehr hohen Kosten geht.« So bringt das Präparat Avastin zusammen mit Carboplatin und Paclitaxel bei dem schon oben beschriebenen Lungenkrebs eine durchschnittliche Lebensverlängerung von zwei Monaten. Die Behandlung mit Avastin kostet 90 816 Dollar. Die beiden anderen Präparate schlagen noch einmal mit etwa 30 000 Dollar zu Buche. Diese Kombinationstherapie bekam die Zulassung, obwohl Lungenspezialisten einen tatsächlichen Nutzen durch die Behandlung bezweifeln, schreiben die Autoren des Kommentars.
Bestechendes Konzept – aber kaum Wirkung
    Avastin ist einer der großen Blockbuster im Zig-Milliarden-Dollar-Krebsgeschäft. Bis vor Kurzem war er sogar die Nummer 1 mit einem weltweiten Umsatz von sechs Milliarden US-Dollar. Wie so häufig in der Welt der überflüssigen Medizin besticht Avastin mit einem verständlichen und überzeugenden Konzept: Es hemmt die Neubildung der Blutgefäße. Und eine Krebsgeschwulst, die sich deutlich über die Größe eines Stecknadelkopfes hinaus entwickeln will, lässt im umliegenden Gewebe eigene Blutgefäße für sich wachsen. Avastin behindert diese Neubildung – ein klein wenig. Die Computeranimation mit der kleinen Krebsgeschwulst, die dank Avastin ausgehungert wird – diese vom Hersteller für das Fernsehen kostenlos zur Verfügung gestellte Animation –, lief vor acht Jahren praktisch in allen Medizinmagazinen. Diese PR-Maßnahme hat die Popularität des Medikaments ungeheuer gesteigert. Wie gesagt – ein bestechendes Konzept: »Krebs aushungern«. Für das Marketing eigentlich das Wichtigste. Leider ist die Wirkung marginal.
    Oft gelingt es in den Studien nicht zu zeigen, dass die Therapeutika das Leben der Patienten auch nur um einen einzigen Tag verlängern. Dann nehmen die Hersteller oder Studiendesigner gerne Zuflucht zu einem sogenannten Ersatzparameter (Surrogatendpunkte). Der beliebteste ist das »progressionsfreie Überleben«. Ein interessanter Ersatzparameter. Denn der Laie denkt, wenn der Tumor eine Zeit lang nicht weiterwächst, dann bedeutet das natürlich gewonnene Lebenszeit. Schauen wir uns mal an, was das progressionsfreie Überleben durch Avastin zum Beispiel beim Brustkrebs wirklich bedeutet.
Augenwischerei mit Surrogatparametern
    Der Blutgefäßbildungshemmer Avastin verschafft zusammen mit Paclitaxel nach der Studienlage bei Brustkrebs eine progressionsfreie Zeit von fast sechs Monaten. Das hört sich im Rahmen der oft sehr bescheidenen Ergebnisse der Chemotherapien schon nach richtig viel an. Doch eine Verlängerung der durchschnittlichen Überlebenszeit konnte bei dieser Therapie leider nicht nachgewiesen werden. Nachdem die Therapie eine Zeit lang angeschlagen hat, holt der Tumor umso aggressiver zum Gegenschlag aus. Dieser in vielen Studien auch für andere Mittel gezeigte Zusammenhang hat eine sehr wichtige Bedeutung für die Studienkultur in der Krebsmedizin. Denn diese oft auf den ersten Blick überzeugenden Erfolge des progressionsfreien Überlebens werden für die Manipulation der wissenschaftlichen Datenlage missbraucht. Obwohl bekannt ist, dass das progressionsfreie Überleben oft nur ein

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