Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Belastung wird, nur »gegebenenfalls«? Was soll das heißen? Das macht diese Aufklärung unwichtig! Aufklärung »gegebenenfalls über erforderliche weitere Maßnahmen wie die Biopsie der Prostata«. Merken Sie, wie belanglos das klingt? Und dann kommt das dicke Ende. Das, wo wirklich der Hammer hängt, wird mit einem pflichtschuldigst aufzählenden »sowie« ans Ende der Aufklärungsempfehlung gehängt: »sowie die Behandlungsoptionen und deren Risiken«.
In meinen Augen ist diese verharmlosende Formulierung am Anfang des drohenden Verhängnisses, nämlich bei der Aufklärung, ob ein PSA-Test gemacht werden soll oder nicht, ein bewusster Steilpass für eine schlampige Aufklärung der Patienten. »Gegebenenfalls« und »sowie« wiegeln ab. Abstrakte Formeln wie »Therapieoptionen und deren Risiken« verunklären, worum es geht. Warum wird in der Leitlinie erst nach der Biopsie Klartext geredet? Inkontinenz und Impotenz drohen in 30 bis 50 Prozent der Fälle. Diese Information gehört an den Anfang der Aufklärung. Nach der Biopsie, im Gespräch mit dem eben frisch diagnostizierten Krebskranken, werden sogar Partnerinnen zur psychosozialen Rehabilitation eingeladen. Angesichts des drohenden Verlustes der sexuellen Funktionsfähigkeit wird plötzlich sogar über das Männerbild gesprochen. Wie fürsorglich! Der Grund ist in meinen Augen ganz klar: Wenn ich dieses Szenario schon beim ersten Beratungsgespräch vor dem PSA-Test klar schildern würde, könnte ich ja die Kundschaft verschrecken! Wie viele Opfer des PSA-Tests mögen denken: »Mein Gott, wenn die mir den ganzen Schlamassel am Anfang richtig erklärt hätten, hätte ich nie … « Das Perfide ist, dass die Scham der Opfer den Tätern in die Karten spielt. Mit Impotenz und Inkontinenz geschlagen, gehören sie nicht zu den Menschen, die mit ihren Problemen in die Öffentlichkeit drängen.
Vom sinnlosen PSA-Test abraten
Die Verantwortlichen für diese Leitlinien werden sagen: »Herr Wittig, können Sie nicht lesen? Steht doch alles drin: Aufklärung über die Behandlungsoptionen und deren Risiken. Wenn der niedergelassene Urologe das nicht tut, ist das nicht unsere Schuld.« Clever! Darf ich mal eine Formulierung vorschlagen, die ich in den Leitlinien zum PSA-Test für angebracht hielte: »Wenn ein Patient ohne bekannte Risikofaktoren einen PSA-Test wünscht, ist er mit dem Hinweis auf die Sinnlosigkeit dieses Tests und dem Hinweis auf das drohende Gemetzel an seinem Unterleib mit schlimmsten Folgen für seine körperliche und seelische Gesundheit zu informieren. Diesem Patienten ist vom PSA-Test dringend abzuraten.«
Das wäre eine Empfehlung, die erkennbar am Patientenwohl orientiert ist. Aber Sie werden eine solche Empfehlung in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie nicht finden. Denn vom PSA-Test abzuraten stellt einen Angriff auf ein bewährtes Geschäftsmodell dar. Um genauere Zahlen zu diesem Geschäftsmodell zu erhalten, wandte ich mich an die Deutsche Gesellschaft für Urologie. Meine Fragen waren folgende:
Wie viele PSA-Tests werden bei uns pro Jahr durchgeführt? – Was für Kosten entstehen?
Wie viele der Getesteten führen anschließend eine Stanzbiopsie durch? – Welche Kosten entstehen?
Wie viele Prostatakrebskranke werden dadurch pro Jahr identifiziert?
Wie viele Operationen/Bestrahlungen werden in der Folge durchgeführt? – Welche Kosten entstehen?
Wie viele Fälle von Impotenz/Inkontinenz werden erzeugt?
Wie hat sich die Statistik der Todesfälle durch Prostatakrebs nach der Einführung des PSA-Tests entwickelt?
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass all diese Fragen beantwortet würden. Aber wenigstens ein paar Zahlen zum Gesamtvolumen des »Geschäftsmodells PSA-Test in Deutschland« hatte ich mir erhofft. Einige Tage später erhalte ich einen Rückruf von der Urologischen Fachgesellschaft. Die Dame am Telefon erklärt mir, die Fragen könne man nicht so einfach beantworten. Der Chef persönlich würde sich die Zeit nehmen, mir die Zusammenhänge zu erklären. Die Aussicht auf ein wirklich erhellendes Gespräch, wie sich später herausstellen sollte.
PSA-Test in Deutschland
Zwei Tage später ruft der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Prof. Stöckle, bei mir an. Er sei nicht zufrieden, wie über den PSA-Test in der Öffentlichkeit gesprochen werde, erklärt er. 50 Operationen, um einen Krebspatienten zu retten, und dafür jede Menge Kollateralschaden – das könne man so nicht stehen lassen. (Wir
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