Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
nicht: Orientierung am Wohl der Patienten.
Ich frage Prof. Stöckle, warum er glaubt, dass der Erfinder des PSA-Tests, Prof. Richard Ablin, heute so entsetzt ist von den Folgen seiner Erfindung. Und dazu rät, den Test nicht anzuwenden. Der oberste deutsche Urologe antwortet mir, Ablin sei nur ein Laboratoriumsmediziner. Der könne das gar nicht beurteilen. Der sei ja nie aus seinem Labor herausgekommen. Wie finden Sie das? Ist es nicht unglaublich, wie einfach der PSA-Fan es sich macht? Prof. Stöckle erklärt den Vater des PSA-Tests einfach für inkompetent. Ablin, ein habilitierter Wissenschaftler, sei angeblich nicht imstande, sich innerhalb von 25 Jahren – seit sein Test in der Anwendung ist – ein Bild von den Auswirkungen dieses Tests zu machen? Ich weiß nicht, worüber ich mich mehr ärgern soll: über die Dreistigkeit, die Prof. Stöckle gegenüber seinem Kollegen an den Tag legt, oder die Dreistigkeit, mit der er versucht, mich für dumm zu verkaufen.
Wenn ich als Laie, den Ratschlägen eines Urologen vertrauend, in die PSA-Mühle geraten wäre und in der Folge entsprechende »Kollateralschäden« erlitten hätte, wenn ich dann erführe, dass dieser PSA-Test aus gutem Grund von den Kassen nicht erstattet wird, weil wissenschaftliche Studien nicht zeigen konnten, dass er einen Überlebensvorteil bringt, wie würde ich mich fühlen? Ich würde mich fühlen, als sei ich auf offener Straße überfallen, ausgeraubt und krankenhausreif geschlagen worden.
7. Bad Pharma: tricksen, täuschen, tarnen
Menschenverachtende Datenmanipulation
Arzneimittelstudien – oder allgemeiner – Studien zur Wirksamkeit von medizinischen Interventionen sollten die Grundlage für eine rationale Empfehlung dieser Interventionen sein, sei es eine Medikamentengabe oder eine Operation am offenen Herzen. Studien zur Wirksamkeit medizinischer Interventionen dienen den Patienten und den Medizinern zur Beantwortung der Frage »Wie habe ich die besten Chancen, die Krankheit zu bekämpfen und die Gesundheit wiederherzustellen?«. Die veröffentlichten Ergebnisse dieser Studien lenken mitunter gigantische Finanzströme nicht nur in unserem Gesundheitssystem, sondern rund um den Globus. Ziel dieser Lenkung der Finanzströme muss es sein, das Geld zum größtmöglichen Nutzen für die Patienten einzusetzen. Deshalb ist die Manipulation dieser Studien aus wirtschaftlichen Interessen ein menschenverachtendes, an Zynismus kaum zu überbietendes Vergehen am Gemeinwesen. Im Ernstfall unter der billigenden Inkaufnahme von Zehntausenden Fällen von Körperverletzung weltweit. Dennoch ist die Manipulation dieser Arzneimittelstudien an der Tagesordnung.
Deshalb hat das Thema es verdient, dass wir ihm hier ein eigenes Kapitel widmen. Ich möchte Beispiele für diese Manipulation aufzeigen. In einem späteren Kapitel möchte ich Ihnen auch erklären, was gute und was schlechte Studien sind und wo Sie diese Studien im Internet finden bzw. welche Quellen seriös sind. Wir Patienten müssen lernen, unsere Ärzte auf diese Studien anzusprechen. Wir müssen mehr wissen. Denn ich fürchte, am Ende sind wir die Einzigen, die mit kritischen Fragen den Druck ausüben können, der nötig ist, damit sich die Verhältnisse in unserem Gesundheitssystem verbessern.
Die scheuen Studien zum Grippemittel Tamiflu
Das Gezerre um das Grippemittel Tamiflu macht deutlich, mit welch harten Bandagen der (Des-)Informationskampf an der Pharmafront häufig ausgetragen wird. Tamiflu ist kein Impfstoff zur Vorbeugung, sondern ein vom Pharmamulti Roche angebotenes Präparat zur Bekämpfung von Grippesymptomen bei Kranken. Das Mittel ist – gelinde gesagt – umstritten: »Der enorme wirtschaftliche Erfolg von Tamiflu steht nach Ansicht vieler Beobachter in einem gewissen Gegensatz zur medizinischen Leistung seines Wirkstoffs«, 62 heißt es fast schon höflich in einem Artikel in Das Deutsche Ärzteblatt . Es ist wichtig zu erwähnen, dass dieses Fachmagazin eigentlich nicht zu den herausragenden pharmakritischen Stimmen in unserem Land zählt. Wie kommt das Deutsche Ärzteblatt also dazu, an diesem globalen Blockbuster herumzumäkeln? Einem Arzneimittel mit einem weltweiten Umsatz von einer Milliarde US-Dollar – in einem normalen Grippejahr.
Die Einschätzung der Wirksamkeit von Tamiflu beruhte zunächst auf einer Metastudie, der »Kaiserstudie« unter der Leitung von Prof. Laurent Kaiser, dem Chef des zentralen virologischen Labors des Universitätskrankenhauses von
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