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Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wittig
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zwei und drei ergibt immer noch eine beunruhigende Wahrscheinlichkeit von 24 Prozent, ein Träger des entarteten Gewebes zu sein. Auch bei einem PSA-Wert unter eins finden sich noch Tumoren: und zwar bei fast jedem Zehnten der Untersuchten. Diese im Jahr 2004 publizierten Studiendaten mit genauen Zahlen verdanken wir tausend mutigen amerikanischen Männern fortgeschrittenen Alters. 55 Sie waren alle gesund und ohne Anzeichen einer Prostataerkrankung. Alle ließen ihren PSA-Wert messen und dann die Prozedur über sich ergehen, die zur Abklärung des Verdachtes eigentlich erst ab Werten über vier gemacht wird: die Stanzbiopsie.
Genauer hinschauen
    Bei der Stanzbiopsie ist es leider nicht damit getan, eine Nadel in die Prostata zu stechen und eine Probe zu nehmen. Da die eventuell vorhandenen Tumoren noch nicht getastet werden können, werden in der Regel sechs Einstiche wohlüberlegt über die ganze Prostata verteilt. Diese Zahl ist genauso willkürlich wie der PSA-Grenzwert. Manche Urologen, die ihren Job besonders gut machen wollen, nehmen zwölf und mehr »Stichproben«. Wie erwartet, finden sie häufiger Tumorgewebe und erzeugen so mehr Krebspatienten als ihre Kollegen, die weniger stechen. Auch das wurde in Studien untersucht. 56 Mit dem Ergebnis: Zwölf Nadeln finden etwa 30 Prozent mehr Krebs als sechs Nadeln. Für welche Variante würden Sie sich entscheiden? Wenn schon, denn schon? Warten Sie vielleicht mit der Antwort noch bis zum Ende des Kapitels.
    Es ist aber auch möglich, noch genauer hinzuschauen. Pathologen aus Cleveland taten dies bei 525 Männern unterschiedlichen Alters. Es waren Männer, die bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen waren und deren Vorsteherdrüsen man detailliert mikroskopisch untersuchen konnte. 57 Die Wissenschaftler fanden schon bei fast jedem zehnten Mann zwischen 20 und 29 Jahren Prostatakrebs. In der Gruppe zwischen 50 und 59 Jahren waren es 45 Prozent. Und bei den 70- bis 79-Jährigen hatten vier von fünf Männern Prostatakrebs. Wir erinnern uns: Drei Prozent der Männer sterben an Prostatakrebs. Diese Studien zeigen: Die überwiegende Zahl der Männer stirbt mit Prostatakrebs und nicht an Prostatakrebs. Der Grund ist ganz einfach: Prostatakrebs ist in den meisten Fällen nicht so aggressiv, dass er seinen »Wirt« das Leben kostet. Wir müssen davon ausgehen, dass die meisten Tumoren so langsam wachsen (oder gar nicht wachsen oder sich von alleine zurückbilden), dass sie ohne das Vorsorgeprogramm gar nicht aufgefallen wären. Was bedeutet das nun für die Früherkennung?
Der PSA-Test verursacht ein Gemetzel
    Lassen Sie uns dazu noch einen Sachverhalt klären, der bei der Entscheidung für oder gegen die Früherkennung die wichtigste Rolle spielen sollte: Wie sehr profitiere ich von der Untersuchung? Wie stark sinkt mein Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, und was muss ich dafür an Unbill in Kauf nehmen? Getreu dem Motto: Nutzen und Schaden abwägen. Prof. Gilbert Welch verwendet dazu in seinem Buch eine Grafik mit zwei Linien. Die obere Linie zeigt die Anzahl der Krebsdiagnosen pro Jahr in den USA seit 1975. Mit Einführung der PSA-Tests schnellt diese Kurve Anfang der 90er-Jahre steil nach oben. Seither entdeckt man etwa doppelt so viele Krebserkrankungen wie zuvor. In den Spitzenjahren waren es etwa 130 000 Männer mehr, die durch die Früherkennung mit der Bürde der Erkenntnis belastet wurden, dass sie Krebs haben. Eine enorme Zahl! Die meisten ließen sich natürlich operieren. Was hätte der Test sonst für einen Sinn. Das hatte bei fast 50 Prozent der Männer sexuelle Dysfunktionen oder sogar Impotenz zur Folge. Bei etwa 30 Prozent gab es Probleme mit der Harnkontinenz. Wir sprechen hier in beiden Fällen über einige Zehntausend Männer pro Jahr. Wo nicht operiert wurde, wurde bestrahlt. Die Bestrahlung verursacht etwas weniger Probleme mit der Potenz und der Harnkontinenz. Bei 17 Prozent dieser Männer rief die Bestrahlung allerdings Beschwerden im Enddarmbereich bis hin zur Stuhlinkontinenz hervor. 58 Ein bis zwei von tausend Männern starben an der Operation. Wir sehen: Der Schaden durch die Vorsorge war und ist schrecklich. Ein Gemetzel mit über einer Million Opfer seit Einführung des PSA-Tests allein in den USA.
    Und der Nutzen? Der lässt sich aus einer zweiten Linie in der Grafik in dem Buch Overdiagnosed von Gilbert Welch erschließen. Es ist die Linie der Männer, die seit 1975 Jahr für Jahr an Prostatakrebs gestorben sind. Angesichts der Tatsache,

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