Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Genf. Hört sich doch gut an! Immerhin zehn Einzelstudien zu Tamiflu wurden dafür ausgewertet. Kaiser und seine Mitarbeiter erklärten nach Sichtung der Studien, Tamiflu verkürze die Krankheitsdauer um anderthalb Tage, reduziere die Zahl der Einweisungen in ein Krankenhaus um 59 Prozent und die Zahl der Lungenentzündungen um 55 Prozent.
Wenn wir aber genauer hinschauen, sehen wir, dass die drei Coautoren der Studie alle vom Hersteller des Grippemittels bezahlt wurden, das sie zu bewerten hatten. Vom Schweizer Pharmamulti Roche. Und stellen Sie sich vor: Alle zehn Studien, auf denen die Metastudie beruhte, waren ebenfalls von dieser Firma finanziert worden. Von Roche. Nicht gerade vertrauenerweckend, zumal zahlreiche Studien gezeigt haben, dass herstellerfinanzierte Studien zu einer »überoptimistischen« Darstellung der untersuchten Präparate neigen.
Ist Tamiflu sein Geld wert?
Im Jahr 2009 – im Schweinegrippejahr – wollte es die britische Regierung noch einmal genau wissen. Schließlich ging es um die nationale Bevorratung mit dem Grippemittel. Das ist Bestandteil des Katastrophenplans. Eine Pandemie vom Ausmaß der viel zitierten Spanischen Grippe könnte zum Zusammenbruch der Infrastruktur eines ganzen Landes führen. Wenn man also britische Pfund im dreistelligen Millionenbereich an eine Pharmafirma weiterreicht, will man wissen, ob die Präparate, die man dafür bekommt, auch dazu taugen, die Katastrophe abzuwenden oder zumindest abzumildern. In England jedenfalls wollte man das wissen. In Deutschland ist das zuständige Robert-Koch-Institut auffällig unkritisch.
Die britische Regierung beauftragte die Cochrane-Gruppe um Dr. Tom Jefferson in Rom mit einer Überprüfung der Studiendaten. Es ist dieselbe Gruppe, die in einer Metastudie die statistisch marginale Wirksamkeit der Grippeimpfung festgestellt hatte. Die Gruppe um Dr. Jefferson musste erst einmal konstatieren, dass nur zwei der angeblich zehn Studien zu Tamiflu überhaupt veröffentlicht worden waren. Das ist ungewöhnlich für Studien zu einem Präparat mit Milliardenumsatz. Was lag näher, als die Pharmafirma um die verbleibenden acht Studien zu bitten, die sie ja finanziert hatte. Was jetzt kommt, müsste eigentlich schallendes Gelächter hervorrufen, wenn es nicht so erschreckend wäre: Die Firma sagte, sie könne Jefferson das Material nur aushändigen, wenn er eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterzeichne. Die Daten waren offensichtlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Nur bezahlen für die Medikamente, das durfte die Öffentlichkeit. Die Daten, die Wirksamkeit von Tamiflu belegen sollten, waren geheim. Was fallen Ihnen für Beschreibungen für dieses Verhalten der Herstellerfirma Roche ein? Lächerlich? Unverschämt? Surreal? Dr. Gert Antes, Direktor der Deutschen Cochrane-Sektion, formulierte es so: »Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass dort getäuscht, getarnt und getrickst wird. Und das Dramatische daran ist, dass die Datenlage dazu führt, dass Milliarden ausgegeben werden. Großenteils von Steuergeldern. Und dass zur gleichen Zeit die Öffentlichkeit nicht die Möglichkeit hat, diese Daten zu sehen. Das ist – glaube ich – in anderen Fällen ein Fall für den Staatsanwalt.« Dr. Tom Jefferson ließ sich auf diesen Widersinn natürlich nicht ein. Er hatte ja den Auftrag, Licht ins Dunkel zu bringen.
»Ungereimtheiten« rund um die Tamiflu-Studie
Bei dem Versuch, die fehlenden Daten zu recherchieren, kamen seltsame Dinge ans Tageslicht. Ein Wissenschaftler, der angeblich Autor einer der unpublizierten Studien gewesen sein soll, wusste gar nichts von dieser Leistung. Andererseits meldeten sich ehemalige Mitarbeiter einer Agentur für Medizinkommunikation, die als Ghostwriter die Präsentation der Tamiflu-Studie werbetextlich optimieren sollten. 63 Und Jefferson bekam von der Firma Roche nie den vollständigen Satz der Studiendaten. Im schon zitierten Artikel im Ärzteblatt heißt es dazu: »Das legt für Jefferson den Verdacht nahe, dass die Daten zu Tamiflu selektiv publiziert wurden, sprich: Positive Ergebnisse werden veröffentlicht, negative aber verschwiegen.« 64
Wir haben das bereits kennengelernt: Selektives Publizieren der positiven Studien und gleichzeitiges Verschweigen der unpassenden Studienergebnisse stellt ein einfaches und sehr effektives Instrument dar, um die allgemein verfügbare »wissenschaftliche Datenbasis« zur Wirksamkeit von Medikamenten massiv zu verzerren. Die gesamte Gemeinschaft
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