Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
der Wissenschaftler, aber auch Mediziner und Behörden – alle werden getäuscht. Zum Vorteil der Firma, die Geld mit dem Präparat verdient.
Tom Jefferson suchte notgedrungen nach unabhängigen Studien, die nicht vom Hersteller Roche finanziert worden waren. Er fand 20 solcher Studien, die den strengen Anforderungen des Cochrane-Netzwerkes genügten. Seltsam, dass keine davon Eingang in die Metastudie von Prof. Laurent Kaiser gefunden hatte, oder? Diese hatte nur von Roche finanzierte Studien herangezogen. Nach Auswertung der unabhängigen Studien musste Jefferson die »Kaiserstudie« in wesentlichen Teilen widerlegen. Die Krankenhauseinweisungen (das ist für den nationalen Katastrophenplan wichtig) wurden durch Tamiflu nicht erkennbar reduziert und die Zahl der gefürchteten schweren Komplikationen in den unteren Atemwegen wurde durch Tamiflu auch nicht kleiner. Nach den neuesten Ergebnissen der Cochrane-Gruppe liegt die durchschnittliche Verkürzung der Grippe auch nicht bei anderthalb Tagen, sondern bei 21 Stunden. Das bleibt von der Wirkung des Präparats nach der Überprüfung durch unabhängige Wissenschaftler übrig. Die Krankheit dauert einen knappen Tag kürzer. Fein! Bei den Kriterien aber, derentwegen in nationalen Katastrophenplänen weltweit Milliardenbeträge eingeplant sind und auch schon ausgegeben wurden, versagt das Antigrippemittel nach dieser Metaanalyse unabhängiger Studien auf ganzer Linie.
RKI – ein Bundesinstitut hält Roche die Treue
Ich habe auf der sehr umfangreichen Website des Robert-Koch-Instituts (RKI) – des in Deutschland für Infektionskrankheiten zuständigen Instituts – nach Informationen zu Tamiflu gesucht und lediglich Empfehlungen gefunden, die auf den Studien des Pharmariesen Roche beruhen. Die Kaiserstudie gilt hier immer noch als Referenz. 65 Die von der Cochrane-Gruppe widerlegten Informationen vom Tamiflu-Hersteller Roche werden an dieser Stelle nach wie vor runtergebetet: Das Mittel reduziere die Zahl der Krankenhauseinweisungen und die Zahl der Lungenentzündungen jeweils um mehr als 50 Prozent. Irre, was? Eigentlich bezahlen wir das Robert-Koch-Institut mit unseren Steuergeldern, damit wir wissenschaftlich fundierte Ratschläge für den Umgang mit Krankheiten erhalten. Und dieses Institut betätigt sich – anders kann ich die Situation nicht deuten – als Durchreiche für Desinformationen der Pharmaindustrie. Womit hat sich Roche diese Loyalität unseres Bundesinstituts wohl verdient? Aber so ist das eben: Bei Studien zu medizinischen Interventionen muss man sich nicht nur die Ergebnisse ansehen. Mindestens zwei weitere Aspekte sind ebenso wichtig: wer die Studie bezahlt hat und wer eine Studie geflissentlich nicht zur Kenntnis nimmt.
Um zu untermauern, dass die bizarre Geschichte von Tamiflu kein Einzelfall ist, sondern in weiten Teilen exemplarischen Charakter hat, möchte ich einige Ausschnitte aus einer Übersicht zu Forschungsarbeiten zu diesem Thema vorstellen, die im Jahr 2010 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde. Einer der Autoren ist Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorstand der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, den wir im Kapitel über die Chemotherapie schon als Streiter für eine ehrliche Informationskultur an der Pharmafront kennengelernt haben. »Finanzierung von Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen und die Folgen« 66 lautet der Titel der Arbeit. Es ist eine Art Metaanalyse von wissenschaftlichen Studien, »deren ausdrückliches Ziel es war, klinische Studien, die durch pharmazeutische Unternehmen finanziert worden waren, mit klinischen Studien ohne Finanzierung durch Pharmafirmen zu vergleichen, zum Beispiel hinsichtlich der Ergebnisse oder Schlussfolgerungen«, heißt es in der Einleitung. Insgesamt 57 solcher Studien hatten die Autoren in der medizinischen Datenbank Pubmed im Zeitraum zwischen November 2002 und Dezember 2009 gefunden. Zum Teil handelte es sich dabei schon um Übersichtsarbeiten oder Metaanalysen einzelner Studien, sodass sich diese Literaturübersicht auf eine breite statistische Basis stützen konnte. Das zeigt auch, wie groß die Aufmerksamkeit für dieses Thema – die Verzerrung der wissenschaftlichen Datenbasis durch industriefinanzierte Forschung – innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft mittlerweile ist.
Überoptimistische Industriestudien
Von den berücksichtigten Studien widmeten sich 26 der Frage, ob industriefinanzierte Forschungsarbeiten bzw. Studien, deren Autoren
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