Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
auszusprechen – auch wenn Sie wissen, dass Ihr Vater schwerstkrank ist und keiner mehr an eine Heilung oder auch nur an eine Besserung seines Zustands glaubt. Weshalb sein Tod als das unausweichliche Ende des Lebens jetzt die natürliche Folge der Umstände sein müsste. Ich möchte die Mediziner, die – meist in Krankenhäusern – um das Leben der Sterbenden kämpfen, nicht mit Dollarzeichen in den Augen darstellen. Aber in vielen Konstellationen kann man kaum glauben, dass allein der »unbändige Wille zu helfen« der Motor der oft irrationalen medizinischen Betriebsamkeit ist, mit der Mediziner Sterbende umsorgen. Eine Betriebsamkeit, mit der Mediziner den Sterbevorgang in vielen Fällen sinnlos hinauszögern. Eine Betriebsamkeit, mit der Mediziner Sterbende länger sterben lassen.
Wer als Todkranker das Glück hat, in einer Palliativstation aufgenommen zu werden, erlebt einen fundamentalen Wandel der Medizin um sich herum. In der Palliativmedizin versuchen Ärzte nicht mehr, Kranke zu heilen. Sie versuchen nur noch, ihnen zu helfen. Das Wort »palliativ« kommt vom lateinischen pallium – der Mantel. Es ist der Mantel, der schützend um den Körper der Todkranken gelegt wird. Keiner vergreift sich mehr an ihnen. Die Kranken müssen hier keine ambitionierte Medikation mehr über sich ergehen lassen, Chemotherapien oder gar chirurgische Eingriffe erdulden. Pharmazeutika kommen hier nur noch zum Einsatz, soweit sie die Situation der Palliativpatienten erleichtern. Vor allem Schmerzmittel, vielleicht noch Massagen oder Bäder. Man versucht hier, den Menschen die letzten Tage oder Wochen vor dem Tod so angenehm wie möglich zu machen.
Palliativmedizin: das Sterben erleichtern
Für einen Beitrag über Palliativmedizin war ich im Klinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, besser bekannt unter dem Kürzel RWTH Aachen. Es ist das hässlichste Krankenhaus, das ich kenne. Von außen sieht es aus, als ob ein größenwahnsinniger Klimatechniker und ein Betonfetischist als Architekten verantwortlich zeichneten. Innen hat man über weite Strecken das Gefühl, in einem um den Faktor zwei bis drei aufgeblasenen U-Boot unterwegs zu sein. Aber ich hatte hier eines der bewegendsten Erlebnisse meines journalistischen Berufslebens.
Meine Drehpartnerin ist die Leiterin der Station, Dr. Linda Bertram. Es ist mein zweiter Dreh auf einer Palliativstation und wieder bin ich tief beeindruckt von der Ruhe und der Selbstverständlichkeit, mit der die Mitarbeiter hier ihre Arbeit verrichten. Die ständige Begegnung mit dem Tod macht die Menschen bescheiden. Ich habe auf diesen Stationen nie eitle, affektierte oder prätentiöse Mediziner getroffen. Hier begegnen sich die Menschen auf Augenhöhe – wohl in dem Bewusstsein, dass das, worum es hier geht, sie alle gleich macht.
Wir treten in einen halb abgedunkelten Raum, in dem eine 80 Jahre alte Dame ihre letzten Tage oder Stunden im Bett verbringt. Noch vor drei Wochen hat sie bei sich zu Hause den Haushalt geführt. Jetzt hat sie Mühe, einfache Sätze zu sprechen. Langsam kommen die Worte über ihre Lippen: »Jedes Leben hat mal ein Ende. Und meins – hab ich das Gefühl, ist bald da.« »Macht Ihnen das Angst?«, fragt Linda Bertram ganz einfach. Die Patientin antwortet, ohne zu zögern: »Nein. Ich habe mein Leben gelebt. Das wär’s dann, was soll ich anderes dazu sagen.« Verwandte haben ihr bei den letzten Besuchen Postkarten mit Abbildungen von Heiligen mitgebracht. Sie selbst sei nicht gläubig, erklärt die Patientin. Die Leiterin der Station spricht noch einige Sätze mit ihr und verabschiedet sich warmherzig. Dann nimmt mich Linda Bertram mit auf ihre »heutige Mission«.
»Wir gehen jetzt zu einem Patienten in der Urologie. Der ist schwer krebskrank. Eine Aussicht auf Heilung hat er nicht. Wir haben im Moment auf unserer Station ein Bett frei. Ich will versuchen, ob wir ihn nicht zu uns holen können«, erklärt mir die junge Ärztin auf dem Weg durch die technoid anmutenden Gänge des Klinikums. Die behandelnden Ärzte hätten oft große Schwierigkeiten, ihre Patienten »gehen zu lassen«, sagt sie. Viele könnten nicht akzeptieren, dass ihre Kunst Grenzen hat. Ich denke: Am Ende muss doch immer der Tod stehen und das hat nichts mit einem Versagen der Medizin zu tun. Das ist das natürliche Ende des Lebens, der Fluchtpunkt tödlicher Krankheiten. Sich am Ende immer noch dagegen zu stemmen ist sinnlos. Und anstrengend für Ärzte, Pfleger und vor
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