Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
in anderen Zusammenhängen Geld von den Herstellern erhalten hatten (Vorträge, Beraterverträge, im Fachjargon: conflict of interest – Interessenkonflikt), zu besseren Ergebnissen für die untersuchten Medikamente kamen als die unabhängigen Studien. 23 von den 26 Studien kamen zu dem Ergebnis, dass es sich so verhält. Hält man diese Daten für repräsentativ, dann sind knapp 90 Prozent der industriefinanzierten Studien »überoptimistisch«, was die Wirksamkeit oder das Nebenwirkungsprofil der untersuchten Medikamente anbelangt. Die Zahl deckt sich übrigens mit der Einschätzung, die der Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser, der Herausgeber des pharmakritischen arznei-telegramms , mir genannt hatte (vgl. Kap. 3. 1. Wo die weiße Mafia sonst noch fette Beute macht – Manipulierte Studien verharmlosen Nebenwirkungen).
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Studien zur Wirksamkeit von Arzneimitteln zum überwiegenden Teil industriefinanziert sind, wird klar, dass praktisch unser gesamter Umgang mit pharmazeutischen Produkten von verzerrten Daten gesteuert wird. Die Wirksamkeit unserer Medikamente ist in aller Regel schlechter, als es die »Datenlage« glauben macht. Im Ernstfall geht die Wirkung tatsächlich gegen null, wie die Metaanalyse unabhängiger Studien durch die Cochrane-Gruppe für das Grippemittel Tamiflu gezeigt hat. Das Tolle ist: Wir merken das nicht. Wir haben ja keine Vergleichsmöglichkeiten, wie schlimm die Krankheit verlaufen wäre, wenn wir das Medikament nicht genommen hätten. Was für eine komfortable Situation für die Hersteller!
In aller Regel sind auch die negativen Nebenwirkungen gravierender, als es die »wissenschaftliche Literatur« darstellt. Bei den Cholesterinsenkern, den Statinen, hatte uns Prof. Thomas Münzel schon eine »Technik« erläutert, mit der Nebenwirkungen verharmlost werden: In einer »Eingangsphase« erhalten die Probanden schon vor Beginn der Datenerfassung für die Studie eine gewisse Zeit lang die Medikamente. Diejenigen, die das Medikament nicht vertragen, dürfen nach der »Eingangsphase« nach Hause gehen. Diejenigen, die das Präparat gut vertragen, nehmen an der Studie teil und liefern die Studienergebnisse. Frech, was?
Wo Betrug zur Normalität wird
Die oben zitierte Literaturübersicht zum Thema industriefinanzierte Studien widmet sich auch dem Thema Nebenwirkungen. Sie nennt als Beispiel für die Manipulation der Angaben zu Nebenwirkungen in industriefinanzierter Forschung Studien zu Cortison (genau: inhalativen Corticosteroiden). Eingesetzt werden die Stoffe bei Autoimmunerkrankungen wie Asthma, Neurodermitis oder Rheuma. Hier gab es in den Herstellerstudien nur halb so viele negative Nebenwirkungen wie in unabhängigen Studien. 67 Nur halb so viele! Cortison ist ein Arzneimittel, das bekannt ist für eine Vielzahl unerwünschter Nebenwirkungen: Hautveränderungen, Wassereinlagerungen im Gewebe, Muskelschwund, Osteoporose, Störungen der Sexualhormonproduktion, Impotenz, Wachstumsstörungen bei Kindern, Immunschwäche, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Depressionen … Die Liste ist lang. Cortison hat da keinen guten Ruf. Kein Wunder, dass die Hersteller in den von ihnen finanzierten Studien versuchen, die Nebenwirkungen zu verharmlosen.
Doch wie erhält man Ergebnisse, die das Produkt des Auftraggebers harmloser aussehen lassen, als es wirklich ist? Das ist einfacher, als man denkt. Eine ganz simple Möglichkeit besteht darin, die Dosierung des Medikaments in der Studie geringer anzusetzen, als es in der Therapie später üblich sein wird. Oder man bricht die Studie ab, sobald sich positive Wirkungen einstellen, und blendet so negative Nebenwirkungen, die erst nach einer längeren Medikamenteneinnahme auftreten, einfach aus.
Ich hoffe, wir verlieren bei dieser Flut an bitteren Informationen nicht aus den Augen, worum es hier geht: Wir sprechen nicht über die Beurteilung der Qualität von Strümpfen. Es geht um Arzneimittel, auf die Kranke ihre Hoffnung setzen. Die Bereitschaft, diese oft lebenswichtigen Daten zu manipulieren, ist in der pharmazeutischen Industrie erschreckend hoch. Die fast ausschließlich börsennotierten Unternehmen werden von der Firmenspitze her offensichtlich nur nach Kriterien der Gewinnmaximierung geführt. Die zentrale Frage lautet: An welcher Stelle erhalte ich mit dem geringsten finanziellen Einsatz den größten Effekt bei der Gewinnmaximierung! Die Manipulation von Studien dürfte auf der Liste der passenden
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