Die Weisse Massai
und ich ziehe meine Jacke an. Nun erwacht sie und verlangt nach Wasser. Sie hat großen Durst, ihre Lippen sind völlig aufgesprungen. Mein Gott! In der Hetze habe ich wieder einmal einen Riesenfehler gemacht. Wir sind ohne Trinkwasser! Ich durchsuche den ganzen Wagen, finde eine leere Colaflasche und mache mich auf den Weg, Wasser zu suchen. Es muß doch hier Wasser geben, so grün wie alles ist! Nach hundert Metern höre ich das Plätschern von Wasser, doch sehen kann ich im Dickicht nichts. Vorsichtig wage ich mich Schritt für Schritt ins Gebüsch. Nach zwei Metern fällt der Hang steil ab. Unten ist ein kleines Bächlein, das ich jedoch nicht erreichen kann, denn die glitschige Felswand käme ich nicht mehr hoch. Ich renne zum Wagen zurück und nehme das Seil von den Benzinfässern mit. Die Frau heult wie verrückt vor Schmerzen. Ich schneide ein Ende des Seils ein und binde die Flasche daran, um sie zum Wasser herunterzulassen. Unendlich langsam füllt sie sich. Als ich kurz darauf der Frau die Flasche an den Mund halte, merke ich, daß sie vor Hitze glüht. Gleichzeitig friert sie so, daß ihre Zähne klappern. Sie trinkt die ganze Flasche leer. Nochmal hole ich Wasser.
Zurück beim Wagen höre ich ein Schreien, wie ich es in meinem ganzen Leben noch nie vernommen habe. Das Mädchen hält die Frau fest und weint. Sie ist ja noch so jung, vielleicht 13 oder 14 Jahre alt. Ich schaue in das Gesicht der Frau, und ihr Blick verrät Todesangst. »Ich sterbe, ich sterbe, Enkai!« stammelt sie. »Please Corinne, help me!« fleht sie wieder. Was soll ich nur machen? Ich war noch nie bei einer Geburt dabei, sondern bin selbst das erste Mal schwanger. »Please, take out this child, please, Corinne!« Ich halte das Kleid hoch und sehe wieder das gleiche Bild. Das blau-violette Ärmchen hängt nun bis zur Schulter heraus.
Dieses Kind ist tot, geht es mir durch den Kopf. Es hat Seitenlage und kann ohne Kaiserschnitt gar nicht auf die Welt kommen. Unter Tränen erkläre ich ihr, daß ich nicht helfen kann, aber mit etwas Glück kommt in etwa einer Stunde Hilfe. Ich ziehe meine Jacke aus und lege sie über die zitternde Gestalt. Mein Gott, warum läßt du uns so allein? Was habe ich falsch gemacht, daß dieser Wagen uns ausgerechnet heute wieder im Stich läßt, ich verstehe die Welt nicht mehr. Gleichzeitig kann ich die gellenden Schreie kaum aushalten und laufe kopflos und verzweifelt in den dunklen Busch, kehre aber sofort wieder zum Auto zurück.
Die Frau verlangt in ihrer Todesangst mein Messer. Fieberhaft überlege ich, was ich machen soll, dann entscheide ich mich, es ihr nicht auszuhändigen. Plötzlich erhebt sie sich von der Decke und geht in die Hocke. Das Mädchen und ich starren entsetzt auf die mit dem Tod kämpfende Frau. Sie faßt mit beiden Händen in ihre Scheide und würgt und dreht an dem Arm, bis nach einiger Zeit ein blau-violettes, unterentwickeltes Kind auf der Wolldecke liegt. Gleichzeitig fällt sie erschöpft zurück und bleibt völlig starr liegen.
Ich fasse mich als erste und wickle das blutige, tote, etwa siebenmonatige Kind in einen Kanga. Dann flöße ich der Frau wieder Wasser ein. Sie zittert am ganzen Leib, doch strahlt sie nun völlige Ruhe aus. Ich versuche, ihr die Hände zu reinigen und spreche beruhigend auf sie ein. Dabei lausche ich angestrengt in den Busch. Nach einer Weile höre ich ein leises Motorengeräusch.
Ein Stein der Erleichterung fällt mir vom Herzen, als ich kurz darauf Scheinwerferlicht durch das Gebüsch erblicke. Ich halte meine Taschenlampe in die Höhe, damit sie uns rechtzeitig sehen. Es ist der Sanitäts-Rover vom Spital. Drei Männer steigen aus. Ich erkläre ihnen, was geschehen ist, und sie laden die Frau auf einer Bahre in ihr Auto, ebenso das Bündel mit dem toten Baby. Auch das Mädchen fährt mit. Der Fahrer des Rover schaut sich meinen Wagen an. Er dreht den Zündschlüssel und weiß sofort, was fehlt. Er zeigt mir ein Kabel, das hinter dem Steuerrad herunterhängt. Das Zündkabel ist herausgerissen. In nur einer Minute hat er es wieder befestigt, und der Wagen springt an.
Während die anderen nach Maralal zurückfahren, begebe ich mich in die andere Richtung nach Hause. Völlig erschöpft und verstört erreiche ich unsere Manyatta. Mein Mann will wissen, warum ich erst so spät zurückgekommen bin. Während ich zu erzählen versuche, merke ich, daß er mir nicht glaubt. Verzweifelt über seine Reaktion begreife ich nicht, warum er mir so wenig
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