Die Weisse Massai
loszuwerden. Allerdings kaufen die Somalis seit kurzem die Felle nur von denen, die Mais oder Zucker bei ihnen beziehen. So entstehen täglich neue Diskussionen. Deshalb beschließe ich, ebenfalls Häute anzukaufen und lagere sie im hinteren Teil unseres Shops.
Keine zwei Tage vergehen, bis uns der schlaue Mini-Chief besucht und nach der Lizenz für den Handel mit Tierhäuten fragt. Natürlich haben wir keine, weil ich von deren Notwendigkeit nichts wußte. Und außerdem, meint er, könne er mir den Shop schließen, weil es nicht erlaubt sei, die Häute im selben Gebäude zu lagern wie die Lebensmittel. Es müßten mindestens fünfzig Meter Abstand dazwischen sein. Mir verschlägt es bei dieser Neuigkeit die Sprache, da die Somalis bisher ihre Häute ebenfalls im selben Raum hatten, was der Chief einfach bestreitet. Jetzt weiß ich auch, wer ihn auf uns gehetzt hat. Da ich mittlerweile fast achtzig Häute habe, die ich beim nächsten Mal in Maralal weiterverkaufen will, muß ich Zeit gewinnen, um einen neuen abschließbaren Ort zu finden. Ich biete dem Chief zwei Sodas an und bitte ihn, mir bis morgen Zeit zu geben.
Nach längerem Hin und Her mit meinem Mann einigen sie sich, daß wir die Häute bis zum nächsten Tag aus dem Shop gebracht haben. Doch wohin damit? Immerhin sind die Felle Bargeld. Ich gehe zur Mission, um Rat zu holen. Nur Roberto ist da und meint, er habe auch keinen Platz. Wir müssen auf Giuliani warten. Am Abend kommt er mit dem Motorrad vorbei. Zu meiner Freude bietet er mir sein altes Wasserpumpenhäuschen in der Nähe an, wo alte Maschinen gelagert sind. Es sei nicht viel Platz, aber besser als nichts, denn man könne es mit einem Schloß abschließen. Wieder habe ich ein Problem gelöst, und langsam wird mir klar, welch große Hilfe Pater Giuliani für uns ist.
Der Laden läuft gut, und Anna erscheint pünktlich. Es geht ihr wieder besser. An einem normalen Nachmittag herrscht plötzlich eine Riesenaufregung. Der Nachbarsjunge stürmt in den Shop und diskutiert aufgeregt mit Lketinga. »Darling, what happened?« frage ich. Er antwortet, daß zwei Ziegen unserer Herde verlorengegangen sind und er sofort aufbrechen muß, um sie zu suchen, bevor es dunkel wird und die wilden Tiere sie erwischen. Gerade will er mit seinen beiden langen Speeren bewaffnet los, als das Hausmädchen des Buschlehrers mit bleichem Gesicht im Laden erscheint. Auch sie spricht mit Lketinga, und ich verstehe nur, daß es um unseren Wagen und Maralal geht. Beunruhigt frage ich Anna: »Anna, what’s the problem?« Zögernd erzählt sie, daß die Frau des Lehrers zuhause ein Kind erwartet, sie müsse sofort ins Spital, aber bei der Mission sei niemand da.
Die Frau des Lehrers
»Darling, we have to go with her to Maralal«, sage ich aufgeregt zu meinem Mann. Er meint jedoch, das sei nicht seine Aufgabe, er müsse seine Ziegen suchen. In diesem Moment verstehe ich ihn überhaupt nicht und frage wütend, ob ihm ein Menschenleben nicht mehr wert sei als das eines Tieres. Er sieht das nicht ein, es sei schließlich nicht seine Frau, aber seine Ziegen wären spätestens in zwei Stunden aufgefressen, und damit verläßt er den Shop. Ich bin sprachlos und verzweifelt, daß ausgerechnet mein gutmütiger Mann so kaltherzig sein kann.
Anna teile ich mit, daß ich mir die Frau ansehen und dann entscheiden werde. Ihre Blockhütte liegt zwei Minuten vom Shop entfernt. Beim Betreten der Hütte trifft mich fast der Schlag. Überall liegen blutdurchtränkte Tücher. Die junge Frau liegt zusammengekauert auf dem nackten Fußboden und stöhnt laut. Ich spreche sie an, da ich vom Laden her weiß, daß sie Englisch spricht. Stockend erzählt sie mir, die Blutungen hätten schon vor zwei Tagen begonnen, aber wegen ihres Mannes durfte sie nicht zum Arzt gehen. Er sei sehr eifersüchtig und deswegen gegen eine Untersuchung. Jetzt, nachdem er weggegangen sei, will sie fort.
Sie schaut mich zum erstenmal an, und ich sehe blanke Angst in ihren Augen. »Please, Corinne, help me, I am dying!« Dabei hebt sie ihr Kleid hoch, und ich sehe ein kleines, blaues Ärmchen aus der Scheide hervorhängen. Mit aller Kraft reiße ich mich zusammen und verspreche, sofort den Landrover von Zuhause zu holen. Ich stürze aus dem Haus zum Shop und sage Anna, daß ich sofort nach Maralal fahre, sie soll den Shop schließen, falls mein Mann bis 19 Uhr nicht zurück ist.
Den Weg zur Manyatta renne ich und spüre kaum, wie mir die Dornenbüsche die Beine zerkratzen.
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