Die Weisse Massai
mich fest und meint weinend, ich solle auf mich aufpassen, mir alles gut überlegen und in zehn Tagen in der Schweiz erscheinen. Anscheinend traut sie mir nicht.
Wir machen uns auf den Heimweg. Abertausende von Sternen stehen am Himmel, aber es scheint kein Mond. Doch Lketinga kennt den Weg durch den Busch trotz der Dunkelheit bestens. Ich muß mich an seinem Arm festhalten, damit ich ihn nicht aus den Augen verliere. Beim Village erwartet uns in der Finsternis ein kläffender Hund. Lketinga stößt kurze scharfe Laute aus, und der Köter verzieht sich. Im Häuschen taste ich nach der Taschenlampe. Als ich sie endlich gefunden habe, suche ich Streichhölzer, um unsere Petroleumlampe anzuzünden. Einen kurzen Moment denke ich, wie einfach doch in der Schweiz alles ist. Da gibt es Straßenlampen, elektrisches Licht, und alles funktioniert scheinbar wie von selbst. Ich bin erschöpft und möchte schlafen. Lketinga hingegen kommt von der Arbeit, fühlt sich hungrig und sagt, ich solle ihm noch einen Tee zubereiten. Das hatte ich bis jetzt immer Priscilla überlassen! Im Halbdunkel muß ich zuerst Sprit nachfüllen. Als ich das Teepulver anschaue, frage ich: »How much?« Lketinga lacht und schüttet ein Drittel des Päckchens in das kochende Wasser. Später kommt Zucker dazu. Aber nicht etwa zwei, drei Löffel, sondern eine volle Tasse. Ich staune und denke, daß man diesen Tee bestimmt nicht mehr trinken kann. Und doch schmeckt er fast so gut wie der von Priscilla. Nun verstehe ich auch, daß Tee durchaus eine Mahlzeit ersetzen kann.
Den nächsten Tag verbringe ich mit Priscilla. Wir wollen Wäsche waschen, und Lketinga beschließt, zur Nordküste zu fahren, um in Erfahrung zu bringen, in welchen Hotels Tanzaufführungen stattfinden. Er fragt nicht, ob ich mitkommen möchte.
Ich gehe mit Priscilla zum Ziehbrunnen und versuche, wie sie einen Zwanzig-Liter-Kanister mit Wasser zum Häuschen zu bringen, was sich als gar nicht so einfach herausstellt. Zum Auffüllen läßt man einen Eimer, der drei Liter faßt, etwa fünf Meter hinunter und zieht ihn nach oben. Dann schöpft man mit einer Blechdose das Wasser heraus und gießt es in die schmale Öffnung des Kanisters, bis dieser voll ist. Es wird peinlich genau gearbeitet, damit nichts von dem kostbaren Naß verlorengeht.
Als mein Kanister gefüllt ist, versuche ich, ihn die 200 Meter bis zur Hütte zu schleppen. Obwohl ich immer glaubte, robust zu sein, schaffe ich es nicht. Priscilla dagegen schwingt ihren Kanister mit zwei, drei Griffen auf den Kopf und marschiert ruhig und locker zur Hütte. Auf halber Strecke kommt sie mir wieder entgegen und bringt auch meinen Kanister nach Hause. Meine Finger schmerzen bereits. Das Ganze wiederholt sich ein paarmal, denn das hiesige Omo erweist sich als sehr schaumig. Die Handwäsche, dazu mit kaltem Wasser, bei schweizerischer Gründlichkeit, macht sich bald an meinen Fingerknöcheln bemerkbar. Nach geraumer Zeit sind sie völlig wundgescheuert, und das Omo-Wasser brennt. Die Fingernägel sind ruiniert. Als ich erschöpft mit schmerzendem Rücken aufhöre, erledigt Priscilla für mich den Rest.
Mittlerweile ist es später Mittag, und gegessen haben wir noch nichts. Was auch? Im Haus haben wir keine Vorräte, denn sonst würden uns bald Käfer und Mäuse besuchen. Also kaufen wir täglich alles im Shop. Trotz der enormen Hitze machen wir uns auf den Weg. Dies bedeutet eine halbe Stunde Marsch, sofern Priscilla nicht mit jeder entgegenkommenden Person einen ausführlichen Schwatz hält. Anscheinend ist es hier üblich, jeden mit »Jambo« anzusprechen, um dann die halbe Familiengeschichte zu erzählen.
Endlich angekommen, kaufen wir Reis und Fleisch, Tomaten, Milch und sogar weiches Brot. Nun müssen wir den langen Weg zurückmarschieren, um anschließend zu kochen. Gegen Abend ist Lketinga immer noch nicht aufgetaucht. Als ich Priscilla frage, ob sie weiß, wann er wiederkommt, lacht sie und meint: »No, I can’t ask this a Massai-man!« Erschöpft vom ungewohnten Arbeiten in der Hitze lege ich mich in das kühle Häuschen, während Priscilla gemächlich mit dem Kochen beginnt. Wahrscheinlich bin ich deshalb so schlapp, weil ich den ganzen Tag nichts gegessen habe.
Ich vermisse meinen Massai, ohne ihn ist diese Welt nur halb so interessant und lebenswert. Dann endlich, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, schlendert er elegant auf die Hütte zu, und das bekannte »Hello, how are you?« ertönt. Ich antworte etwas beleidigt: »Oh,
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