Die Weiße Ordnung
Gedanken wirbelten immer noch wild in seinem Kopf herum. Seinen eigenen Weg finden? Wie? Konnte er dem Chaos freien Lauf lassen und es gleichzeitig mithilfe der Ordnung trennen und lenken?
Das musste der richtige Weg sein. Wie … das war die andere Frage.
Schließlich holte Cerryl tief Luft und ließ das Chaos los, er baute nur einen schwachen Schild auf und beobachtete und steuerte gleichzeitig.
Rot getönte Weiße flammte überall auf und verschwand wieder, sofort danach wirbelte weiße Asche durch den schummrigen Lichtkegel der Lampe, die Dientyr mit beiden Händen umklammerte; er stand etwa vier Schritte hinter Cerryl.
Nachdem er sich gesammelt und einige Male tief durchgeatmet hatte, ging Cerryl einige Schritte weiter, bis er vor dem ungesäuberten Abschnitt stand. Nach kurzem Zögern folgte Dientyr mit der Lampe und das dumpfe Klopfen von Ullans Lanze sagte Cerryl, dass dieser auch aufgeschlossen hatte.
Cerryl stand in der widerlichen Tiefe und versuchte sich ein Glas vorzustellen, das vor ihm in der Luft hing, ein Stück ungeschliffenes Glas, das Licht in verschiedene farbige Strahlen zerlegen konnte. Langsam sammelte er das Chaos – wo es wirklich herkam, wusste er allerdings noch nicht so genau – und ließ es durch die Chaos-Linse fließen.
Drei Lichtstrahlen tanzten plötzlich über den Schlamm auf dem Fußweg. Dampf stieg auf, der Schlamm verfärbte sich schwarz, verbrannte jedoch nicht.
Cerryl holte tief Luft. Die Spaltung des Licht sollte doch eigentlich nicht zwingend mit einer Schwächung einhergehen – oder?
Er versuchte es erneut. Wieder erhielt er nur farbige Lichtlanzen, die dampften und den Schlamm schwärzten, aber nichts reinigten.
Cerryl wusste, dass er irgendetwas vergessen haben musste, doch was konnte es nur sein? Das bedeutete wieder einen langen Tag unter den Straßen von Fairhaven und vermutlich noch viele weitere – zu viele weitere – lange Achttage.
LXIX
D raußen vor dem Magierturm klatschte der kalte Vorfrühlingsregen gegen die Steine und Läden, ab und zu drang ein eiskalter Windstoß durch die geschlossenen Läden. Drinnen wärmten einige glühende Kohlen Myrals Zimmer.
Cerryl saß auf dem harten Stuhl.
»Du siehst besorgt aus.« Myral hob seinen Becher mit dampfendem Apfelwein. »Bedien dich.«
»Danke.« Der angehende Magier goss sich einen halben Becher voll aus dem Krug und suchte den Wein sogleich nach Chaos ab, dann nahm er einen Schluck von der wärmenden Flüssigkeit und hoffte, dass dies seine Kopfschmerzen lindern würde.
»Was hast du für Schwierigkeiten?«
»Manchmal scheint es, als könnte ich große Abschnitte der Kanäle mühelos säubern, als … als hätte ich seit Jahren nichts anderes getan. Dann wieder, sehr oft, um ehrlich zu sein, versuche ich Chaos-Feuer auf irgendetwas zu richten, und es kommt nur … nur tropfenweise heraus. Oder es schießt heraus wie ein Lichtstrahl, wärmt die Ziegel, beseitigt jedoch keinen Schlamm oder Schleim. Manchmal gelingt es mir, den Schlamm zumindest zu schwärzen …«
»Das Feuer gleicht einem Lichtstrahl?«, fragte Myral.
Cerryl nickte.
»Daran solltest du weiter arbeiten … wenn du kannst.«
»Wenn ich kann? Können nicht alle Magier …«
»Nein.« Der ältere Magier schüttelte den Kopf. »Die Alten von Cyador vermochten es alle, wenn man den überlieferten Schriften Glauben schenken darf, aber heutzutage verfügen nur wenige über diese Gabe. Sehr wenige. Es wäre gut, wenn du es könntest.«
»Ich weiß nicht. Man braucht eine Menge Ordnung dazu … glaube ich.« Cerryl wunderte sich über Myrals Zurückhaltung, über eine kaum wahrnehmbare Falschheit, und doch wirkte Myral, als läge ihm etwas an Cerryl. Schon wieder … was hielt er zurück?
»Cerryl«, begann Myral milde, »du kannst Chaos anwenden, ohne selbst das Chaos zu sein.«
Das war eine klare, direkte und wahre Aussage und der junge Magier konnte nur schlucken, als Myral fortfuhr.
»Die Welt ist voller Ordnung und Chaos. Einige Kräfte können sich frei bewegen; andere sind gebunden an die Elemente der Welt. Das Chaos ist in den geschmolzenen Felsen der Feuerberge enthalten und Chaos nährt die Wasser der heißen Quellen. Ordnung ist in Eisen eingeschlossen. Chaos ist nicht an dich oder mich oder Jeslek gebunden. Wir lenken das Chaos – was bedeutet, dass wir es aus der Welt um uns herum ziehen. Das habe ich dir schon einmal erklärt und es ist auch in den Farben der Weiße beschrieben. Es ist wichtig, dass du es
Weitere Kostenlose Bücher