Die Weiße Ordnung
verstehst. Wenn du in den Kanälen mit Chaos hantierst, kommt es nicht aus dir selbst, sondern aus der Welt um dich herum. Du musst es nicht zu einem Teil deiner selbst machen. Andere müssen das.« Myral lächelte traurig. »Sie sterben jung.«
»Aber … warum?«
»Am Anfang ist es einfacher, das Chaos durch sich selbst fließen zu lassen und es in sich aufzunehmen.« Myral grinste amüsiert. »Meistens erfordert es viel Zeit und Mühe, egal welches Handwerk man erlernt, die richtigen Fähigkeiten zu entwickeln. Du hast gerade entdeckt, dass du Chaos entweder außerhalb deiner selbst bündeln oder es durch dich selbst fließen lassen kannst, und du hast erhebliche Mühe damit. Derzeit erzielst du noch bessere Ergebnisse, wenn du es durch dich selbst fließen lässt. Habe ich Recht?«
»Ja«, musste Cerryl zugeben.
»Du hast die Wahl.« Myral stand auf. »Ich kann dir keine Ratschläge mehr dazu geben, dich keine einfachen Methoden der Kontrolle lehren, ich kann dir nur meine Beobachtungen mitteilen.« Er zeigte zur Tür. »Du musst in den Kanälen so lange daran arbeiten, bis du das Chaos sicher unter Kontrolle hast.«
Cerryl schluckte hastig den letzten Schluck Apfelwein hinunter und zuckte zusammen, als die heiße Flüssigkeit seinen Hals versengte. Er rückte den unbequemen Stuhl zurück und stand auf.
»Ich habe keine Geheimnisse vor dir«, fügte Myral hinzu. »Ich kann dich nur die gegebenen Tatsachen lehren, doch du selbst musst herausfinden, wie du sie dir zu Nutze machen kannst.«
»Ja, Ser.«
»Cerryl.« Myrals Stimme klang hart. »Du kannst entweder ehrlich versuchen zu verstehen oder du kannst es nur vortäuschen und damit scheitern und jung sterben. Du hast die Wahl.« Er deutete ein zweites Mal mit dem Kopf zur Tür.
Auch als Cerryl den Raum längst verlassen hatte und die Steintreppe hinunterstieg, hallte der Knall der zugeschlagenen Tür noch in seinen Ohren nach, sein Hals brannte immer noch und ihm war zum Weinen zu Mute. Sollte es ihm nicht gelingen, Chaos-Kräfte aufzubieten, die stark genug waren, dann konnte er nur auf die Gnade der Kesriks in ganz Candar hoffen. Wenn er keine Kontrolle über die Chaos-Energien außerhalb seiner selbst erlangen konnte, würde er unweigerlich jung sterben. War er nicht in der Lage, seine Fertigkeiten in der Chaos-Handhabung zu verbessern, würde er jämmerlich zugrunde gehen.
Aber … Myral hatte angedeutet, dass die Methode, von der Cerryl sicher wusste, dass sie funktionierte, die falsche war; die Techniken jedoch, von denen er nicht einmal wusste, wie er sie jemals beherrschen sollte, waren angeblich die richtigen. Darüber hinaus verfügte Myral auch noch über die Gefühlskälte – Cerryl fand kein anderes Wort dafür –, ihm keinen einzigen nützlichen Rat zu geben.
Der zukünftige junge Magier stieg kopfschüttelnd die Treppe hinunter, er wusste, er hatte wieder einen langen anstrengenden Tag in den Kanälen vor sich, an dem er sich mit seiner noch sehr unsicheren Kontrolle über das Chaos-Feuer herumschlagen musste – und mit seinem allzu unsicheren Leben in Fairhaven.
LXX
I rgendwo im Tunnel hinter Cerryl, in der Nähe der Treppe hinauf zur Straße und zum bronzenen Kanalgitter, trommelte Ullans Lanzenspitze nervös gegen die Steine. Dann hörte das Trommeln schlagartig auf, wahrscheinlich hatte Dientyr dem Lanzenkämpfer den Ellbogen – oder Ähnliches – in die Seite gerammt.
Cerryl konnte spüren, dass es spät werden würde. Er schwitzte, seine Tunika stank wahrscheinlich nach Schweiß, Angst und Abwässern, so sehr, dass er selbst nichts mehr davon wahrnahm.
Alles Erdenkliche hatte er versucht, aber noch immer schien die einzige Möglichkeit zur Erzeugung einer ausreichenden Menge an Chaos-Feuer die zu sein, das Chaos durch sich selbst fließen zu lassen – was beinahe unwillkürlich geschah. Myral hatte Cerryl jedoch ziemlich eindeutig wissen lassen, dass sich Cerryl damit weit entfernt vom Idealweg befand.
Cerryl wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und schaute mit leerem Blick in die Dunkelheit. Seine Augen waren müde und die Dunkelheit schien sich in Wogen gegen ihn zu stemmen.
Für einen Augenblick schloss er die Augen und versuchte nachzudenken. Was war ihm entgangen? Irgendetwas beachtete er nicht. Vielleicht gab es nicht genug Chaos in seiner Nähe, um es zu bündeln. Musste man das Chaos zuerst sammeln? Wie?
Es musste einen Weg geben. Myrals Worte hallten noch in seinen Ohren, »… benutze
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