Die Weiße Ordnung
Chaos, ohne selbst das Chaos zu sein … Chaos aus der Welt um uns herum ziehen …«
Was zog das Chaos an? Sonnenlicht?
Cerryl nickte und stellte sich vor, er wäre eine riesige Blume, die das Chaos aufsog wie eine Blüte das Sonnenlicht; dieses Sonnenlicht würde er in Flammen umwandeln und dann auf den Schlamm und die Ziegelsteine richten …
Und schon fauchte eine goldene und weiße Flamme vor Cerryl auf – eine regelrechte Feuerwand blitzte durch den Tunnel … Die grün beschichteten Steine blieben jedoch unberührt – keine einzige Elle war gesäubert worden.
Cerryl stand regungslos da, unfähig zu glauben, was er gerade gesehen hatte. Hatte er es denn wirklich gesehen?
Dann, nachdem er tief durchgeatmet hatte, versuchte er es zu wiederholen: Er sog das Chaos auf wie die Blumen das Sonnenlicht, ließ es um sich herum fließen – nicht durch sich hindurch – und drückte es leicht nach unten.
Mit einem lauten Fauchen brannte die goldweiße Flamme eine Linie über die Steine.
Ein breites Grinsen erhellte Cerryls Gesicht und am liebsten wäre er vor Freude in die Luft gesprungen. Doch stattdessen versuchte er, seine Vorstellung und die Handlung noch einmal zu wiederholen.
Da … zum dritten Mal loderte die Flammenlanze durch den Tunnel, leicht schräg angesetzt versengte sie noch mehr von dem schleimigen Schlamm.
Der junge Magier, unfähig, sein Grinsen zu verbergen, blickte weiter fest in die Dunkelheit, als er noch einmal tief Luft holte. Cerryl war zwar außer Atem und müde, doch er war auf etwas gestoßen, etwas, das er wahrscheinlich noch nirgends sonst gesehen hatte. Allerdings – hatten Jeslek und Sterol denn schon alles gezeigt, was sie zu bieten hatten?
Er schüttelte den Kopf.
Hinter ihm trommelte Ullans Lanze nervös an die Mauer, einmal, zweimal.
»Nicht jetzt«, fauchte Dientyr.
Cerryl drehte sich um, das Grinsen ließ er dabei von seinem Gesicht verschwinden. »Ullan … ich weiß, es ist ungemütlich hier unten, und ich weiß auch, dass es Euch nicht sonderlich gefällt, aber wenn Ihr weiter mit dieser Lanze gegen die Wand klopft, lenkt mich das ab, und das bedeutet, dass alles, was ich tue, länger dauern wird.« Er hielt inne. »Ich würde es sehr schätzen, wenn Ihr Euch bemühen könntet, dieses Geräusch zu unterlassen.«
»Ja, Ser.« Ullans Stimme brach bei dem Wort »Ser« und der dünne, schwarze Schnurrbart zitterte ängstlich; Schweiß lief über seine Stirn.
»Gut.« Cerryl wandte sich wieder dem dunklen Tunnel zu, er wollte feststellen, welche Fortschritte er machen konnte, wenn er seine Technik verfeinerte.
»Glück gehabt … Ullan … wirklich Glück gehabt«, flüsterte Dientyr.
Cerryl zwang sich zur Konzentration. Er musste die aufsteigende Hochstimmung beiseite schieben, die sich in ihm breit machte.
LXXI
A ls Cerryl durch den Bogengang schritt und in die vordere Eingangshalle trat, wischte er sich die Feuchtigkeit von der Stirn; sie rührte teils von dem schnellen Marsch durch die Straßen her, den er zusammen mit Jyantyl und den Lanzenkämpfern hinter sich hatte, und teils von dem frühlingshaften Nieselregen, der Fairhaven seit Tagen heimsuchte, so fein, dass Cerryls Kopf kaum schmerzte.
Blinzelnd musste er seine Augen erst einmal an die Dunkelheit in der Halle gewöhnen. Nach einem kurzen Augenblick schritt er forsch weiter auf den hinteren Teil der Halle und den Hof zu. Die Abendglocken hatten noch nicht geläutet, das bedeutete, dass er vor dem Essen Zeit hatte, sich zu waschen, und nicht wieder einer der Letzten sein würde.
Irgendetwas bewegte sich in der Halle, also blieb Cerryl stehen. Eliasar kam eilig die Stufen vom Turm heruntergelaufen und jagte durch die Eingangshalle. Der Waffen-Magier trug ein gewaltiges Breitschwert aus Weißbronze in einem Schultergeschirr und ein Kurzschwert am Gürtel. Ein zufriedenes Lächeln erhellte Eliasars Gesicht, als seine Finger den Griff der kürzeren Klinge berührten.
Cerryl runzelte die Stirn und folgte Eliasar kurzerhand in den Hof. Als Cerryl den Springbrunnen erreicht hatte, war der Waffen-Magier jedoch schon außer Sichtweite. Mit einem Schulterzucken umkreiste Cerryl den Brunnen, mied dabei die nassen, glitschigen Steine neben dem Becken und schlug den Weg zur hinteren Halle und zu den Waschräumen ein.
Ausnahmsweise war es Cerryl gelungen, trotz des Abstechers in den Waschraum vor den anderen Studenten und den wenigen Magiern, die für gewöhnlich dort aßen, im Speisesaal zu sein. Esaak
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