Die Weiße Ordnung
Hose streifte. Keine Menschenseele trieb sich um diese Uhrzeit auf den Straßen Fenards herum. Cerryl band die Scheide an seinen Gürtel und steckte die Klinge hinein, vorsichtig, damit er das kalte Eisen nicht berührte. Er säuberte seine Stiefel, so gut er konnte, und stieg wieder in den Sattel. Dann, immer mit einem Blick auf die Straße, prüfte er den Inhalt der Börse: drei Silberstücke und einige Kupferlinge.
Dass die zwei ihn getötet hätten, war klar, doch dass jetzt er von ihrem Tod profitierte, gab ihm ein wenig zu denken – obwohl es nur eine geringe Beute war. War ein Menschenleben denn überhaupt mehr wert als ein paar Silberlinge? Jeslek hatte ihn in den sicheren Tod geschickt – für weniger als ein paar Silberlinge. Und er hatte auch für Ludren dieses Schicksal vorgesehen.
Aber war denn Cerryl einen Deut besser? Er hatte die Lanzenreiter als Lockvögel benutzt. Doch sie hatten zumindest eine verhältnismäßig gute Aussicht auf Erfolg. Eine bessere Aussicht jedenfalls, so hoffte er, als sie unter Jeslek gehabt hätten.
Cerryl holte tief Luft und zog es nun vor, die größere Straße entlang zu reiten, er verhielt sich noch vorsichtiger und erreichte schließlich die Hauptstraße, wo er nach rechts abbog, weiter zur Stadtmitte Fenards.
Auf der Hauptstraße herrschte ziemlich reger Verkehr – Männer mit Wachen und Laternenträgern, eine Kutsche mit uniformierten Männern darum herum – und zum Glück kümmerte sich niemand um die dünne Gestalt im Umhang. Schließlich fand Cerryl, wonach er gesucht hatte.
Das Schild zeigte ein Bild, das von einer Fackel beleuchtet wurde: eine gelb angemalte Schüssel. Cerryl ritt an der Tür vorbei und auf einen Bogengang zu, der zu einem Innenhof und einem Stall führte.
»Ser? Ihr seid spät dran.«
»Allerdings …« Cerryl bemühte sich um eine tiefere und rauere Stimme. »Kein Wunder in diesem Straßengewirr.«
Der Stalljunge schreckte zurück, als Cerryl abstieg.
»Gibt es noch ein Zimmer?«
»So viel ich weiß, ja, Ser.«
»Gut.« Cerryl warf dem Jungen einen Kupferling zu. »Das ist für dich. Wenn du gut auf den Braunen aufpasst, gibt es morgen noch einen. Wenn nicht …«
»Danke, Ser. Danke. Ich werde Prytyk holen.«
Cerryl schnallte Satteltaschen und Bettrolle ab.
Der Stalljunge pfiff zweimal, und als Cerryl sein Gepäck schließlich in Händen hielt, tauchte eine gedrungene Gestalt in schmutzigen grauen Kleidern unter der Lampe neben der Stalltür auf.
»Ein Zimmer? So spät?«
Cerryls Augen funkelten.
Der untersetzte Mann machte einen Schritt rückwärts, seine Augen wanderten von Cerryls Gesicht zu der Klinge am Gürtel und dann zurück zum Gesicht des jungen Magiers. Der Mann schluckte. »Für eine Nacht?«
»Heute und morgen Nacht. Einzelzimmer bitte.«
»Ein Einzelzimmer kostet einen Silberling pro Nacht.«
»Mit Verpflegung?«
»Mit Verpflegung, aber ohne Getränke.«
Cerryl nickte und reichte dem Mann ein Silberstück. »Den Rest bekommt Ihr, wenn ich abreise.«
Die Augen des Gastwirts blickten erneut auf die Klinge und dann auf Cerryls Gesicht. »Denke mal, ich kann Euch trauen.«
»Das könnt Ihr, Wirt.« Cerryl legte Zutrauen in seine Stimme, hielt sie jedoch sanft und tief. »So lange ich auch Euch trauen kann …«
»Ihr …«
Cerryl blickte in die trüben braunen Augen und sammelte gleichzeitig Chaos.
»Sehr wohl, Ser.«
Cerryl lächelte. »Danke.«
Er folgte dem Wirt durch eine Seitentür.
»Zur Schenke geht’s dort entlang. Die Treppe ist hier.«
Er folgte dem breitschultrigen Mann die schmalen Stufen hinauf.
Eine alte Goldeichentür führte in das letzte Zimmer des oberen Flurs, der nur mehr etwa zwei Ellen breit war. Prytyk stieß sie auf. »Das ist Eures. Viel zu essen gibt es nicht mehr so spät, aber wenn Ihr herunterkommt, wird Euch Foera noch etwas bringen.«
»Ich werde in Kürze unten sein.«
»Kein blankes Eisen in der Schenke.«
Cerryl nickte.
Als Prytyk gegangen war, warf Cerryl einen Blick in den Spiegel an der Wand. Ein verhärmtes, unrasiertes und blutverschmiertes Gesicht blickte ihn daraus an. Das schiefe Lächeln, das ihn begrüßte, wirkte beinahe grausam.
»Nun, ohne Rasierer …« Wie hätte Leyladin wohl Die Goldene Schüssel gefunden? Cerryl bezweifelte nicht, dass diese Herberge unter ihrer Würde war, weit unter ihrer Würde.
Er wusch sich über der Waschschüssel das Blut aus dem Gesicht – Cerryl wusste noch immer nicht genau, wie er dazu gekommen war – und den
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