Die Weiße Ordnung
hier im Zimmer stünde.«
»Ich verstehe das nicht. Ich war so vorsichtig.« Tellis zog sich nachdenklich am nackten Kinn. »Warum sind sie nur hergekommen?« Er sah Cerryl eindringlich an. »Bist du sicher, dass du nichts weißt?«
»Ser«, sagte Cerryl vorsichtig, »wir hatten alle das Gefühl, dass wir beobachtet wurden. Beryal hatte etwas dergleichen erwähnt und ich hatte auch schon das Gefühl, als beobachtete mich jemand von der Gasse aus.« Cerryl zuckte die Schultern. »Ich habe nichts getan. Ich habe nicht gestohlen, niemanden beleidigt und ich bin auch an keinem falschen Ort gewesen.«
»Aber warum sind sie dann zu uns gekommen? Sie wollten kein Buch kaufen. Sie fragten mich nach einem verbotenen Buch.«
»Sie fragten nach dem Buch Ayrlyn. Ihr habt nie etwas darüber erzählt. Was ist das für ein Buch?« Cerryl sah Tellis an. »Warum fragen sie danach? Ihr kopiert doch nur ihre Bücher.«
»Das ist es ja.« Der Schreiber zog noch immer am Kinn und runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, warum sie danach fragten.«
»Ich weiß nichts über dieses Buch«, meinte Cerryl berechnend und hoffte, dass Tellis ihm etwas verraten würde.
»Ach … eine der alten Fälschungen. Es ist angeblich die Geschichte über einen der alten Schwarzen Engel. Aber das kann nicht sein. Es gibt keine Nachweise aus dieser Zeit. Sie hatten keine Schreiber. Das wüsste die Gilde.«
»Dann suchen sie nach einer Fälschung? Sie sollten Euch besser kennen.«
»Das sollten sie wirklich«, stimmte Tellis zu. »Du hast doch nichts anderes abgeschrieben, oder?«
»Nein, Ser. Ich habe keine Zeile geschrieben, die Ihr mir nicht aufgetragen habt. Keine einzige.«
»Ich glaube dir.« Tellis runzelte die Stirn. »Aber das ergibt alles keinen Sinn. Wonach könnten sie suchen?«
Nach mir, hätte Cerryl am liebsten geantwortet. Aber warum? Es kann nicht wegen Onkel Syodor und Tante Nall sein. Sie haben das Chaos schon auf mich gerichtet. »Es scheint, als suchten sie nach etwas Bestimmtem, vielleicht fragen sie alle Schreiber und Bücherbesitzer. Sie schienen nicht verärgert gewesen zu sein, als sie gingen.«
»Das stimmt.« Tellis’ Gesicht hellte sich auf. »Sie holen nur die Leute zum Straßenbau, die etwas Falsches getan haben.« Eine Furche bildete sich auf seiner Stirn. »Aber trotzdem mache ich mir Sorgen.«
»Ja.« Cerryl hustete, um das Kratzen im Hals loszuwerden. »Ich konnte kaum antworten, als der Mann hier stand.«
»Siehst du jetzt, warum du ihnen nicht in die Quere kommen solltest? Sie wissen fast alles.«
»Ja, Ser.« Cerryl konnte nur hoffen, dass sie nicht wirklich alles wussten. Sein Magen verkrampfte sich und jedes Wort bereitete ihm Mühe. Er wusste, es durfte kein warmes Wasser mehr geben und keine verbotenen Bücher – für lange, lange Zeit nicht.
Er schluckte.
»Nun … Weiße Magier hin oder her … du musst an die Arbeit.« Tellis’ Stimme klang gepresst und er wischte sich über die Stirn.
»Ja, Ser.« Cerryl befürchtete, dass seine Stimme zu belegt klang.
»Hol die Tinte und füll die Fässer auf.«
»Ich habe bereits alle aufgefüllt.« Cerryl ging zum Schreibtisch.
»Gut. Ich muss jetzt zu Nivor, bleibe aber nicht lange. Du weißt, was du zu tun hast. Lass die Bilder aus. Die mache ich. Du fängst mit dem Text an.«
Cerryl holte sein Taschenmesser hervor und hoffte, dass seine Hände nicht zu sehr zitterten und dass Tellis bald gehen würde, damit er sich etwas beruhigen konnte.
»Schreib die Buchstaben eng zusammen.« Tellis blieb noch kurz in der Tür stehen, dann warf er den Kopf herum und ging. Die Tür fiel laut ins Schloss, fast als hätte sie jemand zugeschlagen.
Cerryl musste erst noch eine Weile still auf dem Hocker sitzen; erst als sich seine Hände beruhigt hatten, konnte er mit dem Schärfen der Federspitze beginnen.
XLIV
C erryl rieb sich die Augen, dann nahm er den Nachttopf und stapfte im Nachthemd hinaus durch Hof und Tor zur Kanalöffnung. Er fragte sich, warum er wieder dieses seltsame Gefühl dabei hatte.
Weil irgendwelche Weißen Magier vielleicht den Unrat im Kanal zurückverfolgen. Er runzelte die Stirn, dann hob er den Deckel hoch und hielt den Atem an, als er den riechenden Inhalt in die noch stärker konzentrierten und giftigeren Abwässer goss, die durch den scheinbar riesigen, aus gebrannten und glasierten Ziegeln gemauerten Tunnel flossen. Wie viele Meilen solcher Tunnel unterkellerten wohl Fairhaven … und warum? Dass es in der Stadt nicht so
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