Die Weiße Rose
Weiteres auftreiben, da wir ja alles vernichtet hatten. Ich bat darum Karin Schüddekopf, die von mir welche bekommen hatte, sie mir wieder zu geben. Anfang Dezember gab sie mir eine »Weiße Rose« in ihrem Zimmer in der Theresienstraße.
Im Winter 1942 / 1943 änderte sich in der Art unseres Zusammenlebens nichts. Willi Graf fuhr auffällig oft übers Wochenende nach Bonn und Frankfurt, Christoph Probst war in Innsbruck, Alex sah ich selten. Im Dezember fragte Hans mich, ob ich nicht einen Vervielfältigungsapparat besorgen könne. Ich fuhr über Weihnachten nach Wien, wo ich einen Onkel hatte, der einen Schreibmaschinen-Vertrieb en gros hat. Mein Onkel vertröstete mich auf das kommende Frühjahr. In engem Freundeskreis erzählte ich bei meiner Tante – ihr verstorbener Mann war Professor in Wien und sie hatte viele Beziehungen zur Universität – von den Flugblättern, die in München verschickt wurden, zeigte einige.
Wieder in München trafen wir uns seltener zu gemeinsamen Abenden. Hans war bemüht, niemals eine größere Anzahl von Freunden bei sich zu haben. Mit Sophie ging ich manchmal Papier und Umschläge einkaufen. So erinnerte ich mich genau an einen Tag im Januar (er war ganz frühlingshaft warm) 1943 , als wir durch die Ludwigstraße schlenderten und uns so recht der Sonne und der Wärme freuten. An der Straße stand ein Pferd und Wagen, das Pferd schnob laut in die sonnige Luft hinein. »Ha, Kerle«, sagte Sophie und klopfte ihm lachend den Hals – dann stand sie mit der gleichen Einfachheit, dem gleichen frohen Gesicht im nächsten Schreibwarenladen und verlangte Briefumschläge.
Am Abend, nachdem Stalingrad aufgegeben war, hatten Sophie, Lisl und ich Karten fürs Residenztheater. Die Vorstellung fiel aus. »Zwecks Stalingrad« gab der Portier auf Sophies Fragen zur Antwort – und »zwecks Stalingrad« machten wir dann noch einen kleinen Spaziergang und trennten uns. War es in dieser Nacht, als Hans, Alex und Willi die Universität und die Feldherrnhalle mit den großen weißen Lettern bemalten? Auch die Begegnung mit Hans am nächsten Morgen ist mir unvergeßlich. Ich ging zur Universität und sah Hans von der anderen Seite mir entgegenkommen. Wieder war es sonnig und warm. Nichts, kein Seitenblick, kein Umherspähen verriet ihn, mit großen Schritten, ein wenig vornüber geneigt (er hielt sich schlecht in der letzten Zeit) ging er an den sich anstoßenden, hindeutelnden Menschen vorbei – nur ein kleines, fast übermütiges Lächeln lag über den sehr wachen Zügen. Als wir dann in die Universität hineingingen, vorbei an Scharen von Reinemachefrauen, die mit Eimern und Besen und Bürsten die Schrift von der Steinmauer abkratzen wollten, da verstärkte sich dieses Lächeln – und als dann ein aufgeregter Student auf uns zugelaufen kam: Habt ihr schon gesehen? Da lachte Hans laut heraus und sagte: »Nein, was ist denn?« Und von dem Moment fing ich an, wahnsinnige Angst um ihn zu haben. War es nicht eine ähnliche übermütige Geste, ein Überfluß, als sie die Flugblätter wenige Wochen später vom 2 . Stock herunterflattern ließen? Und gerade darin lag so viel von ihnen, Reichtum, Überfluß und unbestimmtes Lächeln im Momente größter äußerer Gefahr.
Zum letzten Mal hab ich Hans und Sophie am 18 . Februar gesehen. Willi Graf und ich hatten 10 Minuten vor Beendigung der Vorlesung von Professor Huber den Vorlesungssaal verlassen, um einigermaßen rechtzeitig in die Nervenklinik zu kommen. An der Glastür kommen Hans und Sophie uns mit einem Koffer entgegen. Wir haben es eilig, sprechen nicht viel, verabreden uns für den Nachmittag. In der Straßenbahn wird mir unheimlich: was tun die zwei 5 Minuten vor Schluß der Vorlesung in der Uni? Willi zuckt mit den Schultern, ist aber auch unruhig. Zwei qualvolle Stunden während Bumkes Vorlesung. Sonst schläft Willi regelmäßig ein. Heute rückt er ruhelos hin und her. Endlich 1 Uhr. Willi geht in die Kaserne. Ich renne zur Uni, renne, Studenten kommen mir entgegen. »Die Türen waren bis 1 Uhr versperrt« – »Flugblätter« – »Zwei haben sie abgeführt« – und dann treffe ich den französischen Lektor, aufgelöst, er kennt Hans. »Oui, oui«, sie haben ihn abgeführt, »et une jeune fille, petite et noire« – er deutet Sophies glatte Haare an. »Comme une Russe« – er kennt sie nicht.
Und nun renne ich nicht mehr, nun weiß ich ganz klar, was ich zu tun habe.
Am 5 . März wurde ich zum ersten Mal von der
Weitere Kostenlose Bücher