Die Weiße Rose
Rußland wiederkam, besuchte er mich sofort, und wir sprachen damals, wohl am zweiten oder dritten Abend zum erstenmal über seine politische Tätigkeit und über seine Pläne. Durch seine Urlaubsreise über Weihnachten und Neujahr nach Ulm und mehrere Fahrten im Januar nach Stuttgart, die alle in Verbindung mit dieser politischen Aktion standen, hatten unsere Gespräche nicht mehr die Ruhe des vergangenen Jahres. Es lag über ihnen fast etwas Gehetztes und oft hat er mich spät in der Nacht angerufen, um den Entwurf eines Flugblattes, um irgendwelche Pläne zu besprechen, wie etwa die Verbindung mit einer in Württemberg vorbereiteten Regierung, die nach dem Sturz der Nazis die Regierungsgeschäfte ausüben sollte. Manchmal war es auch nur der Mensch, der junge Freund, der zu mir kam, um von dem Gehetze mit einem Gespräch, etwa über Kleist oder über irgendein religiöses Problem, oder auch in einem Schweigen über einem Glas Wein auszuruhen. Einmal als er etwa um Mitternacht zu mir kam, sagte er mir: »Lassen Sie mich eine halbe Stunde hier sitzen, das wird mir wieder Gleichgewicht geben.« Ich freute mich über das Wissen um ein gutes Verstehen und ich glaubte ihn immer richtig zu nehmen. – Schönste Anerkennung und traurigste zugleich, die mich zu Tränen rührte – die Worte, die er seiner Mutter wenige Minuten vor seiner Hinrichtung als Grüße an mich sagte.
Es war eine Taktik von H. S., möglichst wenig Menschen, die in diese politische Sache verwickelt waren, miteinander bekannt zu machen. Es sollte nur ein ganz kleiner Kreis sein, der Berührung miteinander hatte, damit bei einem Eingreifen der Gestapo nur eben dieser kleine Kreis von Menschen erfaßt werden konnte. Bei ihm liefen, soweit ich orientiert bin, alle Fäden zusammen, aber er hat Menschen nur miteinander in Verbindung gebracht, soweit es die Situation dringend erforderte. In dieser Zeit war der erste Versuch unternommen worden, eine Verbindung zu Italien und wenn möglich zu andern Ländern – in meiner Buchhandlung trafen sich auch in der Kriegszeit noch viele Ausländer – herzustellen. Anfang Februar drängte H. S. immer mehr darauf, die Bewegung auf eine breitere Basis zu stellen und eben diese Auslandsverbindungen zu fördern, da er, wie er mir sagte, von der Gestapo bedrängt wurde und man es nicht übersehen konnte, wann seine Verhaftung erfolgen könne. Um ihm und der ganzen Bewegung besser helfen zu können, hatten wir vereinbart, daß ich in keiner Besprechung mit den anderen – er nannte mir auch hier keine Namen – teilnehmen sollte, damit eben, wie es mehrfach geschah, die Druckapparate und Druckstöcke bei mir im Falle einer Haussuchung in seiner Wohnung oder im Atelier Eickemeyer in ziemlicher Sicherheit sein konnten. Ich war daher auch nie in der Wohnung von H. S. in der Franz-Joseph-Straße 13 und hatte ihn nur ein einziges Mal dort abgeholt, um mit ihm zusammen zu der Vorlesung von Theodor Haecker im Atelier Eickemeyer zu gehen. Bei meiner ersten Vernehmung verschwieg ich die Teilnahme an dieser Vorlesung, weil ich lediglich zu dem Vortrag, der sich über drei Stunden ausdehnte, blieb und dann unmittelbar nach Prof. Haecker die Wohnung verließ, Arbeit vorschützend, in Wirklichkeit eben unserer Verabredung gemäß, um nicht an Geheimsachen ausgesprochen politischer Art teilzunehmen. […]
Etwa 10 Tage vor seiner Verhaftung läutete H. S. wie immer unter einem Decknamen etwa um 23 Uhr bei mir an, ob er ein bestelltes Buch, das er für den nächsten Tag dringend benötige, abholen könne. Er kam wenige Minuten später mit Alexander Schmorell und brachte zum letzten Mal in Handkoffern und Rucksäcken die Druckstöcke, Druckmaschinen und die fertigen Flugblätter zu mir. Der in unsere Bewegung mit einbezogene Med. Student Fritz Seidel war noch bei mir zu Gast, und wir haben dann, immer darauf achtend, daß wir nicht beobachtet werden können, die Gegenstände, wie ich es vorher mehrfach allein getan hatte, unter den Abfallpapieren aus meiner Buchhandlung im Keller versteckt. Am nächsten Mittag holten beide, H. S. und A. Sch. sämtliche Sachen wieder ab, da, wie sie mir sagten, durch die Auskunft ihres Gewährsmannes, die Gefahr für den Augenblick wieder abgewendet sei. Dienstag, den 16 . 2 . 43 , kam H. S. nochmals in ziemlicher Erregung zu mir und ließ mich das bereits fertig hergestellte Flugblatt lesen. Ich glaubte einige Einwendungen gegen den Text machen zu müssen, aber er sagte mir, daß
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