Die Weiße Rose
dunkle Nacht, brachte ich Alex ein Stück des Weges. Er wollte Willi Graf suchen. Gegen 24 Uhr kam er erschöpft zurück. »Man kommt da nicht durch«, sagte er. In dieser Nacht war Fliegeralarm. Ich mußte Alex allein in der Wohnung lassen und ging in den Luftschutzkeller. Nach der Entwarnung tranken wir Tee. Gegen 2 Uhr nachts war seine Geduld am Ende. Es müsse jetzt etwas geschehen. Wenn er Willi Graf nicht fände, wollte er allein fliehen. Wir rechneten jede Minute mit der Gestapo, waren jede Minute dankbar, daß sie nicht erschien. Seit dem 18.2 . hatte ich nichts mehr einkaufen können. So war es nur wenig Proviant, den ich Alex mit auf den Weg geben konnte. –
Der Himmel war klar und es dämmerte schon. Dann kam der letzte Abschied. »Wenn ich es schaffen sollte durchzukommen, dann wird sich mein Leben sehr ändern; wenn nicht, dann werde ich mich auf das Sterben freuen, weil ich ja weiß, daß es kein Ende gibt.« Wir gaben uns fest die Hände und Alex sagte nur: »Du bist mein bester Freund.«
Miele Roters, die mich auf die Fahndungsplakate aufmerksam gemacht hatte, brachte mir nun auch die Zeitungsausschnitte mit dem Steckbrief. Auch Professor Bauer gab sie mir. – Einige Tage später kam er mit der entsetzlichen Nachricht zu mir, daß Alex verhaftet sei. Ich erinnere mich deutlich, daß er, im Gegensatz zu anderen Behauptungen, sagte, Alex sei in einem Luftschutzkeller, in der Nähe des Hauptbahnhofes, von zwei Flak-Soldaten erkannt und aufgegriffen worden. – Ich beschloß sofort, Falk zu warnen, und schickte ihm ein Telegramm mit dem Wortlaut: »Freunde an der Front gefallen.« – Von Falk erhielt ich einen Brief, datiert vom 25 . 2 . 43 , mit einem Heiratsantrag. Zwischen dem 29.2 .– 2 . 3 . 43 wurde ich von zwei Gestapobeamten in meiner Wohnung aufgesucht. Sie fanden den entlastenden Brief von Falk aus Chemnitz, den sie in ihrer Aktenmappe verschwinden ließen. Der eine der Männer verschloß die Fenster und sagte beiläufig, es könne länger dauern, bis ich wieder nach Hause käme, wenn überhaupt. Ich wurde ins Wittelsbacher Palais eingeliefert. Pausenlose Verhöre überfielen mich am Einlieferungstag. Das Hauptinteresse der Gestapo galt, auch in späteren Verhören, meiner Beziehung zur Familie Harnack. Über Alex und die anderen Freunde wurde ich wenig befragt. – Die Gestapo wußte demnach also nichts über die wirkliche Freundschaft zu Alex. Es muß am 8 . März gewesen sein, als ein bedeutend schärferes Verhör in meiner Zelle stattfand. Ich sei die Verbindungsperson zwischen Scholl und Harnack. »Eine schwere Belastung für Sie«, bemerkte der eine Sachbearbeiter. Ich müßte mit dem Schlimmsten rechnen. – Ende März oder Anfang April war wieder ein Verhör. Ein Vordruck wurde mir zur Unterschrift vorgelegt mit dem Wortlaut: »Ich versichere hiermit, daß ich nichts von dem, was ich hier gehört und gesehen habe, nach draußen verlauten lassen werde. Falls ich mich nicht an dieses Verbot halte, sieht sich die Geheime Staatspolizei gezwungen, mich erneut festzunehmen.« – Ich unterschrieb den Wisch, erhielt meine Sachen, sogar den Brief von Falk aus dem Depot zurück, und war frei. In einem Brief übermittelte mir Falk Harnack den letzten Gruß von Alexander Schmorell vom 19 . April 1943 aus dem Strafgefängnis München-Stadelheim. Er lautete: »Grüß Lilo recht herzlich von mir, ich habe viel an sie gedacht.« – Weiter schreibt Falk Harnack: »Das versprach ich ihm, auch daß wir ihn nie vergessen werden!«
Dr. Falk Harnack, jüngster Bruder von Arvid Harnack, der am 22 . 12 . 1942 , ebenso wie später seine Frau Mildred Harnack und Harro Schulze-Boysen in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde
Das erste Zusammentreffen
Hans Scholl und Alexander Schmorell, die Initiatoren des studentischen Widerstandes an der Münchener Universität, hatten im Herbst 1942 von der Verhaftung der Widerstandsorganisation Harnack/Schulze-Boysen (von dem Reichssicherheitshauptamt der SS als »Rote Kapelle« bezeichnet) gehört. Durch diesen Umstand und durch meine frühere illegale Tätigkeit in München (erste Flugblattaktion gegen den NS -Studentenbund Mai 1934 von Gunter Groll, Falk Harnack, Georg Philipp, Lambert Schomerus – alle stud.phil.) waren sie auf mich aufmerksam geworden. Den Kontakt hatte die Münchener Malerin Lilo Ramdohr, die mit Alexander Schmorell und mir eng befreundet war, hergestellt. So suchten mich Hans Scholl und Alexander Schmorell Anfang
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