Die Weiße Rose
war das erste, was er zu mir sagte. Nun hatte ich das vor Augen, was ich für die Freunde in München befürchten mußte. Als mich Falk am Abend zum Bahnhof brachte, sagte ich: »Es ist alles so schlimm, wie soll Muhmi mit dieser schrecklichen Ungewißheit um Arvid und Mildred fertig werden?« – »Weißt du, Falk«, sagte ich weiter, »ich kenne da in München Studenten, die eine geheime Post, ›Die Weiße Rose‹ nennen sie es, in verschiedenen Städten verteilt haben. Jetzt sind sie in Rußland.« – »Irrst du dich da nicht?« bemerkte Falk ungläubig, aber aufhorchend.
Kurz vor der Abfahrt meines Zuges überreichte mir Falk auf dem Chemnitzer Bahnhof ein kleines Schächtelchen mit den Worten: »Gib gut Obacht, verlier es nicht. Es soll zur Verlobung sein.« Das Schächtelchen enthielt einen Siegelring mit dem Wappen der Familie Harnack. Die Aushändigung dieses Ringes geschah auf Grund einer Absprache zwischen Falk Harnack und seinem Bruder Dr. Arvid Harnack, der sich zu dieser Zeit in Berlin in Untersuchungshaft befand.
Bald erreichte mich der erste Brief von Alex aus Rußland vom 7 . 8 . 1942 aus Gshatsk, nicht weit von Moskau. Ein fast lyrischer Brief, in dem er die russische Landschaft mit ihren weißen Birken besingt. In einem anderen Brief schreibt er, daß er nachts mit Hans Scholl heimlich die Schädel gefallener Russen begraben habe, damit ihre Seelen Ruhe fänden.
Im November, nach ihrer Rückkehr aus Rußland, besuchten mich Alex, Hans und Christl in meiner Wohnung. Ein Brief von Falk Harnack lag auf meinem Tisch. Ich bereitete Tee in der Küche. Als ich wieder ins Zimmer kam, gestand mir Hans Scholl, er habe versehentlich den Absender des Briefes gelesen, der da auf dem Tisch lag. Ich solle verzeihen. Ob es sich hier um einen Verwandten von Dr. Arvid Harnack handele? »Das ist der Bruder von Arvid Harnack«, erklärte ich ihm. »Er ist so verzweifelt wegen der Verhaftung von Arvid und dessen Frau Mildred.« Hans Scholl sah mich ernst an. »Ich habe davon gehört«, sagte er leise, »aber ich wußte nicht, daß er einen Bruder hat.« »Ich soll Falk wieder besuchen, aber wegen meiner Schule geht das jetzt nicht«, sagte ich. Spontan fragte mich Hans, ob er für mich meinen Freund Falk in Chemnitz besuchen könne; und weiter: »Du würdest doch mitkommen, Alex?« – Ohne Zögern erklärte sich Alex bereit.
Durch diese Reise, von der Alex begeistert berichtete, waren neue Impulse geschaffen worden. Ohne Zweifel löste sich Alex aus der Distanz, alle letzten Skrupel hinter sich lassend, zur vollen Bejahung der Aktion! – Hans Scholl zeigte auch jetzt wieder die Besonnenheit seiner Verantwortung, und neigte mehr dazu, die neuen Anregungen aus Chemnitz eingehend zu überprüfen. »So weit darf das nicht gehen, daß wir unser Leben riskieren«, hörte ich ihn sagen.
Seit November 1942 deponierte ich wieder Kartons mit Papier und Flugblättern. Alex vermied es ja, darüber viel zu sagen. – Falk kündigte seinen Besuch in München mit noch unbestimmtem Termin an. Darum legte ich seine Briefe, die den geplanten Besuch rechtfertigen könnten, in die oberste Schublade eines Schrankes. Im Ernstfall könnte er sagen, daß er seine Verlobte besucht habe. – Einem Telegramm von Falk folgend, fuhr ich Ende Dezember 1942 nach Neckargemünd, um bei Falk und seiner Mutter zu sein. Am 22 . 12 . 42 war Arvid Harnack in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden. Am 16 . 2 . 43 ging seine Frau Mildred Harnack denselben schweren Gang.
Im Januar 1943 sah ich Alex nur bei Kurzbesuchen. Als er von den Maueranschriften sprach, huschte wieder das bekannte Lächeln über sein Gesicht, und ich wußte dann, daß es den alten Alex noch gab. Falk kam Anfang Februar nach München. Am zweiten Tage seines Besuches bat er mich, ihn in das Hinterhaus in der Franz-Joseph-Straße, wo Hans und Sophie Scholl wohnten, zu begleiten. Wir traten in das wegen der trüben Witterung dunkle Zimmer ein, das von einem großen Tisch beherrscht war. – Hans Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf und Sophie Scholl, die ein Schriftstück in der Hand hielt, begrüßten mich und gaben mir alle die Hand. Ihre Gesichter waren von dem Ernst des Risikos geprägt, in dem sie alle standen. Auf Falks Bitte verließ ich bald das Haus. Er wollte mich später mit Alex zusammen wieder treffen.
Falk hatte auf dem Weg zu dieser Zusammenkunft angedeutet, daß sich die Aktionen verschärfen würden.
Etwa am 10 . 2 . 43 kam
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