Die Weiße Rose
November in Chemnitz, wo ich als Soldat stand, auf. In einem kleinen Hotel »Sächsischer Hof«, in dem auch mein Bruder, Dr. Arvid Harnack und seine Frau Dr. Mildred Harnack bei ihren Besuchen Quartier nahmen, brachte ich sie unter. Gegen 14 Uhr (es war ein Sonnabend) fand die erste grundlegende Besprechung statt. Entgegen der üblichen illegalen Gepflogenheiten sprachen wir sofort sehr offen, da wir gegenseitig wußten, wen wir vor uns hatten. Sie legten mir ihre bisher veröffentlichten Flugblätter als Diskussionsbasis vor. Ausführlich besprachen wir die beiden Formen der Flugblätter, die philosophisch ausgeschmückten der »Weißen Rose« und die realistischen, politisch klaren, die nun entwickelt wurden. Ich unterstützte die letzte Form. Beide begrüßten diese Zustimmung.
Alexander Schmorell, ein großer, schöner und phantasiebegabter Jüngling, gebürtiger Deutsch-Russe, gab in großen Zügen Bericht über die bisherige Tätigkeit der Münchener Studentengruppe; insbesondere referierte er über die verschiedenen Flugblattaktionen. Scholl, ein dunkler Süddeutscher, energiegeladener Typus, führte das Gespräch auf prinzipielle politische Fragen. Vor allem wünschte er Verbindung zu einer zentralen Stelle der Widerstandsbewegung in Berlin, um die studentische Widerstandsorganisation auf eine breitere Basis stellen zu können. Sein Ziel war, an allen deutschen Universitäten illegale studentische Zellen zu errichten, die schlagartig übereinstimmende Flugblattaktionen durchführen sollten. Ich konnte die Zusicherung geben, die Verbindung mit Berlin herzustellen, war doch das Grundprinzip dieser Tage, eine breite antifaschistische Front aufzubauen, ausgehend vom linken (kommunistischen) Flügel über die liberale Gruppe bis zur konservativen militärischen Opposition. Beide waren damit einverstanden, daß ich für sie in Berlin die Vorverhandlungen führen sollte. Die politisch grundsätzliche Aussprache ergab, daß Scholl und Schmorell ihre bisherige illegale Tätigkeit aus einer gefühlsmäßig anständigen und idealistischen Haltung heraus durchgeführt hatten, sie aber nunmehr praktische politische Beratung suchten. Kam Scholl mehr von der katholisch-philosophischen Richtung (Einfluß von Carl Muth und Theodor Haecker), so waren bei Schmorell starke sozialistische Tendenzen vorhanden. Beide aber hegten eine starke Sympathie für Land und Menschen des Ostens (Polen und Ud SSR ), die sie bei ihren Fronteinsätzen kennengelernt hatten. Und so waren beide auch der festen Überzeugung, daß eine Verständigung Deutschlands mit der Sowjetunion notwendig und für die Zukunft Deutschlands von entscheidender Bedeutung sei. Ferner erklärte Hans Scholl, ein glühender jugendlicher Politiker, daß er beabsichtige, sein Medizinstudium aufzugeben, um sich ausschließlich der Politik widmen zu können.
Die Münchener Konferenz
Ende 1942 war ich mehrfach in Berlin, um meinem Bruder, meiner Schwägerin und den verhafteten Freunden, die im Reichssicherheitshauptamt der SS gefangen saßen, beizustehen. Anläßlich eines Besuches im Reichssicherheitshauptamt der SS durfte ich meinen Bruder sehen, der mir in versteckter Form den Auftrag gab, sogleich mit der Widerstandsgruppe, die heute »Der 20 . Juli« heißt, in Verbindung zu treten. Gleichen Tages noch suchte ich meine Vettern Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, einen der führenden Köpfe der Bekennenden Kirche, und Rechtsanwalt Klaus Bonhoeffer, Syndikus der Deutschen Lufthansa, auf, sprach mit ihnen über die Rettungsaktion für die Widerstandsorganisation Harnack/Schulze-Boysen, über die Münchener Studentengruppe und entscheidend über einen Zusammenschluß aller deutscher Widerstandsorganisationen. Die Brüder Bonhoeffer, selbst der liberalen Widerstandsorganisation angehörend, führten aus, daß die Organisation Harnack/Schulze-Boysen unter allen Umständen gerettet werden müsse und daß ihre Organisation alle Mittel dafür einsetzen werde. Gleichzeitig begrüßten sie es auf das wärmste, wenn ich einen Kontakt mit den Münchener Studenten herstellen würde. – (Auch glaubten sie mir die Versicherung geben zu können, daß die oppositionellen Militärs in der deutschen Wehrmacht in Kürze aktiv werden würden.)
In tragischer Weise griff die Entscheidung Hitlers diesem Beschluß vor, als am 22 . Dezember 1942 die ersten elf führenden Kämpfer der Widerstandsorganisation Harnack/Schulze-Boysen (darunter auch mein Bruder) in Berlin-Plötzensee durch
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