Die Weiße Rose
Lebensmittelkarten bewältigen mußte. Was mußte sie allein an Zeit aufwenden, um markenfreie Lebensmittel aufzutreiben.
September 1968
Wilhelm Geyer, Kunstmaler aus Ulm, Freund von Hans und Sophie Scholl; hielt sich im Februar 1943 einige Zeit in München zur Porträtierung von Carl Muth auf und wohnte zeitweise bei den Geschwistern Scholl bzw. im Atelier Eickemeyer
Für Hans waren Professor Huber, Carl Muth und Theodor Haecker bestimmende Persönlichkeiten. Hans hatte aber auf diese Herren nicht geringen Einfluß. Welcher ältere Mann, der in der Isolation lebt, ist nicht aufgeschlossen für die Anerkennung durch einen jüngeren Mann.
Am Tag von Stalingrad ging ich mit Hans zur Vorlesung von Professor Huber. Vor dem Eingang der Universität standen viele Studenten und andere Leute und schauten den Putzfrauen zu, die versuchten, die mannshohen Buchstaben der Anschrift »Freiheit« wegzuwaschen.
In der Vorlesung gedachte Prof. Huber vorschriftsgemäß der Opfer von Stalingrad und fügte den Satz hinzu: »Die Zeit der Phrasen ist vorbei.«
Nach der Vorlesung wollte Hans vor der Universität auf Professor Huber warten. Ich brachte ihn davon ab mit dem Hinweis, daß der Platz voller Spitzel sei, und er habe ja gehört, was Professor Huber gesagt habe. Wir gingen die Ludwigstraße der Feldherrnhalle zu. An den Fassaden und auf den Gehsteigen waren die mit Schablonen gemachten Anschriften »Nieder mit Hitler« mit weißen Papieren überklebt. Ich sagte zu Hans: »Das haben Sie (sie) gut gemacht.« Er antwortete auf das sie (Mehrzahl): »Das ist eine Dummheit, jetzt wird die Universität geschlossen.« Die Woche vorher fragte mich Alex, wie man Schablonen herstelle. Freiheit war das Erste und Letzte, um das es der Gruppe ging. Sie waren in ihrer Menschenwürde verletzt. Gelegentlich sprachen sie von Verbindungen nach Berlin und zur Reichswehr. Aber das klang sehr vage.
Am Dienstag der letzten Woche kam ich abends um 6 Uhr in die Franz-Joseph-Straße, um die Atelierschlüssel, die Hans immer freitags von mir bekam, abzuholen. Auf mein Klingeln öffnete niemand. Ich drückte auf die Türklinke, die Tür öffnete sich. Im Dunkeln standen Hans und Sophie. Sophie sagte erleichtert: »Ach, es ist ja Herr Geyer.«
Wir gingen zusammen zum Nachtessen ins Bodega. Sophie ging in ein Konzert im Bayerischen Hof. Ich saß mit Hans noch eine halbe Stunde zusammen. Er sagte, wenn alles vorbei sei, wolle er eine freie Presse machen. Das war das letztemal, daß ich ihn sah.
Sophie kam nach dem Konzert noch aufs Atelier zu einer Tasse Kaffee. Bei dieser Gelegenheit sagte sie: »Es fallen so viele Menschen für dieses Regime, es ist Zeit, daß jemand dagegen fällt.«
Sie wußten, daß sie von der Gestapo beschattet wurden und spielten mit dem Gedanken zu fliehen. Doch der Gedanke an die Familie und Freunde hielt sie davon ab.
Wenn sie verhaftet werden sollten, dann nicht heimlich, sondern so, daß es die ganze Welt weiß. –
Damit erklärt sich wahrscheinlich ihr Verhalten bei der Flugblattaktion in der Universität.
Am Mittwochmorgen frühstückte ich noch mit Sophie. Ich fuhr an diesem Tag nach Stuttgart, mußte aber am Freitag wieder in München sein. Sie meinte, entweder fahre sie oder Hans nach Ulm. Aber einer von ihnen sei sicher da.
Ulm, 21 . September 1968
Helmut Goetz, damals Student an der Universität München
Als ich vor wenigen Tagen im Sozialarchiv Zürich Ihr Erinnerungsbuch ›Die weiße Rose‹ las, bemächtigte sich meiner eine große Erregung, die in keinem Verhältnis zur zeitlichen Distanz der traurigen Ereignisse im Februar 1943 stand. Doch meine innere Erschütterung, mit der ich Ihr Buch aus der Hand legte, ist insofern begreiflich, als ich nämlich an jenem 18 . Februar vor zehn Jahren Augenzeuge eines Teiles der Vorgänge in der Münchener Universität war.
Es war mein vorletzter Urlaubstag und ich wollte noch schnell – bevor mich wieder das Gefängnis einer Kaserne schluckte – eine kunsthistorische Vorlesung als Viaticum mit auf den Weg nehmen. Es war kurz nach 11 Uhr, als ich vor Freude über die noch gut lesbaren Worte »Freiheit, Freiheit« an der Universitätsmauer das Gebäude betrat. Im Moment, als ich den Lichthof durchquerte, flatterten Blätter vom 3 . Stock herunter. Ich meinte zuerst, es handle sich da um ein Kollegbuch, das aus Versehen heruntergefallen sei, und wollte schon weitergehen, als einige Studenten, die sich um die Blätter kümmerten, von einem eilig
Weitere Kostenlose Bücher