Die weissen Feuer von Hongkong
elterliche Geschäft eintreten würde, erkundigte er sich zunächst ebenso beiläufig, ob sie dann ihre Villa in Bayern veräußern würde. Und selbst als einige Monate später über eine Maklerfirma in München der Kauf getätigt wurde, ahnte Brautmann nicht, wie günstig es einmal für ihn sein würde, sich in dem ruhigen bayrischen Kurort angesiedelt zu haben.
Den Tag, an dem der Rundfunk das Ende der Kämpfe um Stalingrad bekanntgab, verlebte Otto Brautmann bereits in Pfaffenhofen. Er hatte einen Spaziergang unternommen und trank eben ein Glas Glühwein, als er von der Kapitulation der VI. Armee erfuhr.
Seine Frau war dabei, ein Namensschild für das Gartentor zu entwerfen. Es sollte aus Marmor sein, mit Goldschrift. Otto Brautmann betrachtete die Zeichnung eine ganze Weile. Da stand: »Otto E. Brautmann, Ministerialdirigent«. Schließlich radierte er das letzte Wort aus und ersetzte es durch ein anderes. Ein paar Tage später brachte der Steinmetz das Schild, darauf war zu lesen: »Otto E. Brautmann, Anwalt«. Die Lizenz zur Ausübung der Anwaltspraxis verschaffte Brautmann sich wenig später. Es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, das so nebenbei zu erledigen, denn die AmtssteIlen, die darüber zu entscheiden hatten, waren mit Leuten besetzt, die Brautmann recht gern einen kleinen Gefallen taten.
Einen Monat bevor der Krieg zu Ende ging, kehrte Otto Brautmann nach Pfaffenhofen zurück. Offiziell hatte er Genesungsurlaub. Sein einstmals verstauchter Arm behinderte ihn wieder. Der große Raubzug war gescheitert. Das System der braunen Machthaber brach zusammen. Brautmann hatte es klug vermieden, sich mit den Resten seiner Dienststelle in Berlin festzusetzen. Seit der Katastrophe von Stalingrad war ihm klargeworden, daß es bergab ging, und er war schlau genug gewesen, höchst privat die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Er hatte in Pfaffenhofen nie seine Uniform getragen. Für die Leute dort war er ein Anwalt aus Frankfurt, der sich in dem idyllischen Kurort niedergelassen hatte. Es war ihm klar, daß die Alliierten den Krieg gewinnen würden, und er bereitete sich darauf vor, die voraussichtlich komplizierteste Periode, nämlich jene unmittelbar nach dem Krieg, zu überstehen.
Als er im Frühjahr 1945 nach Pfaffenhofen heimkehrte, ließ er sich außerhalb seines Hauses nicht blicken. Er konnte es sich leisten, eine Weile zu pausieren, sein Bankkonto war ansehnlich. In seinem Haus fehlte es an nichts, denn er hatte während der letzten zwei Jahre dafür gesorgt, daß aus den zusammengeraubten Werten, die durch seine Hände gingen, ein gewisser Teil für ihn persönlich abgezweigt wurde. Die Amerikaner, die schließlich auch in Pfaffenhofen einzogen, wurden auf den Anwalt Brautmann nicht aufmerksam. Und bereits wenige Monate später betätigte dieser sich als Rechtsberater einiger kleinerer Unternehmen, die mit seiner Hilfe ihre halblegalen Geschäfte juristisch absicherten.
Den ehemaligen Generalvertreter der Staubsaugerfirma »Meteor« traf Otto Brautmann in einem kleinen Münchener Cafe, nachdem er in den Prozeßakten einer bedeutungslosen Streitigkeit auf seinen Namen gestoßen war. Jahre waren vergangen, seit die beiden Männer sich zum letzten Mal gegenübergestanden hatten, aber sie hatten einander nicht vergessen. Ludwig, der soeben den Posten des Verkaufsleiters in einer neugegründeten Radiofirma angetreten hatte, war hocherfreut, Brautmann wiederzusehen. Sie plauderten ein wenig über die Vergangenheit, dann erkundigte sich Ludwig betont beiläufig: »Sie beraten eine Firma, die gegen uns prozessiert?«
Es war so. Obwohl nicht viel auf dem Spiel stand, hatte Brautmann die Gewißheit, daß die Radiofirma den kürzeren ziehen würde. Doch er begann sehr interessiert zuzuhören, als Ludwig ihm auseinandersetzte: »Keine Frage, daß die Grundert-Radiowerke skrupellos verfahren. Aber man darf das nicht von einem kleinlichen, formaljuristischen Standpunkt aus betrachten. Deutschland braucht große, repräsentative Unternehmen, die den alten Ruf deutscher Wertarbeit in der ganzen Welt neu festigen. Ihr Klient hat keine Aussicht, jemals eine solche Bedeutung zu erlangen. Deswegen wäre es - wenn Sie mich fragen - vom nationalen Standpunkt aus wichtig, daß Grundert gestützt wird. Recht oder Unrecht - das Wohl unserer Nation hängt von Leuten wie Grundert ab. Solche Firmen muß man zu wirtschaftlichen Machtfaktoren machen, und wenn dabei Dutzende kleiner Murkser benachteiligt werden, ja selbst auf die
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