Die weissen Feuer von Hongkong
Augenblick. Dann fragte sie: »Weshalb lernst du Russisch?«
Er lächelte. »Weshalb wohl? Solltest du dir das nicht denken können?« Sie nickte, ein wenig betreten. Deutschland hatte einen Nichtangriffspakt mit den Russen geschlossen. Doch als sie ihren Mann daran erinnerte, zuckte der nur leicht die Schultern. »Es wird Überraschungen geben. Der Führer weiß schon, was er tut. In ganz Europa gibt es bald keinen ernst zu nehmenden Gegner mehr für uns. Dann wird die alte Idee des Führers in die Tat umgesetzt. Der Kommunismus ist zur Ausrottung reif.«
Noch sprach in der Öffentlichkeit niemand über derartige Dinge. Aber Brautmann und seine Mitarbeiter wurden in aller Stille aus dem Auswärtigen Amt herausgelöst und Hitlers Rassenideologen Alfred Rosenberg unterstellt. Nicht ganz ein Jahr später brach Hitlers Armee in die Sowjetunion ein. Rosenberg wurde zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete gemacht. Otto Brautmann zog die Uniform eines Majors an und begab sich in die eben erst eroberten Länder, in denen das Räderwerk der Menschenvernichtung und Ausplünderung auf Hochtouren zu laufen begann.
Brautmanns Dienststelle in Kowno lag in einem ziemlich großen, protzigen Herrenhaus am Rande der Stadt. Der Krieg im Osten war erst einen Monat alt, aber Brautmanns Kommandos arbeiteten bereits mit großer Emsigkeit. Er selbst war nur für ein paar Tage nach Litauen gekommen, hatte eine Rundreise in einem bequemen Mercedes hinter sich und traf nun, vor seiner Rückkehr zur Berichterstattung nach Berlin, die notwendigen Anordnungen.
In der geräumigen Halle des Herrenhauses saßen seine Mitarbeiter in breiten Ledersesseln. Auf kleinen Tischen standen mit Kognak gefüllte Gläser, Früchte und Zigaretten. Die Anwesenden hatten sich an Brautmanns Arbeitsstil gewöhnt. Seine Dienstbesprechungen ähnelten Diplomatenempfängen. Er liebte es, sich mit der Aura eines jovialen, jeder Gewalt fernstehenden Mannes zu umgeben. Aber seine Anweisungen waren eindeutig. Während sich einige seiner Mitarbeiter eifrig Notizen machten, erklärte Brautmann mit seiner flachen, nicht sehr eindrucksvollen Stimme: »Wir sehen davon ab, öffentlich unsere Besatzungspolitik in den Ostländern darzulegen. Für das Ausland genügt es zu sagen, wir waren gezwungen, das Land zu besetzen, jetzt müssen wir Ruhe und Ordnung herstellen, für die Existenz der Bewohner sorgen und die Lebensverhältnisse normalisieren. Das ist alles. Was wir darunter verstehen und was wir im einzelnen tun, das tun wir, ohne viel zu reden. Es geht darum, den Batzen, der uns zugefallen ist, aufzuteilen und auszunutzen. Wir haben das Gebiet erobert. Wir beherrschen es, und wir beuten es aus. Für uns. Ich habe die Detailpläne der einzelnen Referate gesehen und abgezeichnet. Die angegebenen Richtwerte sind vom Reichsminister bestätigt worden.«
Er sprach wie ein Geschäftsmann. Zahlen und Termine wurden genannt. Das alles hörte sich an wie die Konferenz eines Direktoriums von Fabrikanten und Händlern. Es gab keinen Zweifel: Otto Brautmann war dieser Aufgabe gewachsen. Seiner Dienststelle entging nichts, weder der Hühnerbestand in den Dörfern noch die Gemäldesammlungen in den Museen.
Bevor er die Rückreise antrat, hatte er ein kurzes Gespräch mit dem Beauftragten für Arbeitskräftebeschaffung, einem noch jungen Offizier, der ihm eine Anzahl Statistiken vorlegte. Brautmann besah sich die Aufstellungen der nach Deutschland abzutransportierenden Arbeiter, nickte bedächtig und wandte sich dann an seinen Untergebenen: »Wie kommen Sie mit der Judenfrage vorwärts?«
»Im wesentlichen habe ich das der Gestapo überlassen, Herr Major.«
»Falsch«, belehrte ihn Brautmann sachlich. »Die Gestapo ist überlastet. Man muß ihr helfen. Die Ostjuden sind nicht nur das Problem der Gestapo. Sie sind unser prinzipielles, selbstgewähltes politisches Problem. Deshalb sind wir alle dafür verantwortlich. Sind Lager geschaffen worden?«
Der Offizier berichtete von den Sammelstellen, in denen die jüdische Bevölkerung Litauens zusammengetrieben wurde. Er riskierte den Vorschlag, ganze Betriebe vollständig mit jüdischen Arbeitskräften zu besetzen, aber Brautmann winkte energisch ab.
»Nein, nein, mein Lieber! Davon lassen wir hübsch die Finger. Was die Juden angeht, so heißt unsere Politik: ausrotten. Das wird zwar nicht in ein paar Monaten zu schaffen sein, aber deswegen machen wir noch lange keine Kompromisse. Ich glaube Ihnen, daß dieses Pack Sie vom
Weitere Kostenlose Bücher