Die weissen Feuer von Hongkong
Standpunkt der Arbeitskräftebeschaffung interessiert. Aber hier gibt es keinen Mittelweg. Sie haben meine Anweisung, jüdische Arbeiter aus allen Betrieben zu entfernen?«
»Jawohl.«
»Wann können Sie den Vollzug melden?«
»In ein bis zwei Wochen. Aber die Leute können nicht alle sofort von der Gestapo erfaßt werden.«
»Ich weiß. Registrieren und hungern lassen. Was vorherkaputtgeht, darum braucht sich die Gestapo dann nicht mehr zu bemühen. Wir halten auf jeden Fall unseren Plan ein. Ich will dem Reichsminister in zwei Monaten melden können, daß diese Frage erledigt ist.«
Er konnte es ein Vierteljahr nach Kriegsbeginn melden. In Lettland dauerte es etwas länger. Inzwischen waren selbst in dem neugegründeten Reichskommissariat Ostland Stimmen laut geworden, die unter Hinweis auf ökonomische Faktoren ein Abbremsen der Judenvernichtung vorschlugen. Das Arbeitskräfteproblem wurde zwingender. Doch Otto Brautmann ging keine Kompromisse ein. Seine Anweisung an den Reichskommissar Ostland war in scharfem Ton gehalten. Sie wurde in Riga selbstverständlich sofort durchgeführt. Dieses Schriftstück, das Brautmann eine Woche vor Weihnachten in Berlin unterzeichnete, führte dazu, daß in Lettland unverzüglich 85 000 jüdische Bürger ihrer Freiheit beraubt und binnen kurzer Zeit umgebracht wurden.
Meist hielt sich Brautmann jetzt in Berlin auf. Er frühstückte bei Horcher und dinierte im Eden, traf sich im Fürstenhof zu internen Besprechungen mit Kollaborateuren aus den besetzten Gebieten und ging abends mit Frau und Kindern in den Admiralspalast. Im Februar lief er Ski am Mauersee und verstauchte sich den rechten Arm. Als er am 13. März, einen Tag vor seinem Geburtstag, die Anweisung unterzeichnete, aus der Bukowina und dem Moldaugebiet einige Zehntausende jüdischer Bürger »abzutransportieren«, fiel sein Namenszug infolge der Armverletzung ein wenig unleserlich aus. Das änderte nichts daran, daß die von der Anweisung Betroffenen wenig später in entlegene Waldgegenden am Bug gebracht und dort erschossen wurden.
Als der Schnee geschmolzen war, begab sich Brautmann wieder in die besetzen Gebiete, um den Fortgang der Ausplünderung zu begutachten. Er verschmähte Geschenke nicht, die ihm hier und da von ergebenen Mitarbeitern gemacht wurden: ein Brillantenkollier aus dem Besitz einer jüdischen Fabrikantenwitwe, ein paar Gemälde, eine Sammlung von wertvollen Silberfiligranarbeiten ...
Inzwischen begann Berlin unter den Bombenangriffen der Alliierten zu leiden. Es gefiel Brautmann dort gar nicht mehr so gut wie früher, und er war um die Sicherheit seiner Familie besorgt. Noch bevor er darüber ernsthaft nachdenken konnte, wurde er zunächst einmal zum Ministerialdirigenten ernannt. Im August unternahm er wieder eine Reise. Diesmal ging es nach Karlsbad in der besetzten Tschechoslowakei, wo er eine langwierige Kur antrat. Sie sollte ihn von gelegentlichen Beschwerden befreien, die ihm der verstauchte Arm noch bereitete.
Es wohnte sich angenehm im Haus Neapel. Die Appartements waren modern eingerichtet, und von den Fenstern aus konnte man die Wälder weithin überschauen. Der behandelnde Arzt, Dr. Walther, war Parteigenosse, und zwar einer von denen, die es mit der Gesundheit eines so hohen Würdenträgers wie Otto Brautmann außerordentlich ernst nahmen. Zunächst verordnete er die übliche Brunnenkur, nach ein paar Tagen begann er mit Schlammpackungen für den beschädigten Arm. Immer wenn Brautmann aus dem Schlammbad kam, war er ziemlich müde und hatte das Bedürfnis, sich niederzulegen. Das änderte sich erst, als in das Appartement neben ihm eine junge Frau einzog, die an einer Magenkrankheit litt. Sie war die Witwe eines Fliegers; ihren Eltern gehörte eine der großen Reedereien Hamburgs.
An einem Nachmittag, als Brautmann mit ihr beim Tee saß, fragte er interessiert: »Sie wohnen in Bayern?«
»In Pfaffenhofen. Ein sehr schöner Kurort.« Sie lächelte etwas müde. Dieser Ministerialdirigent war ein angenehmer Gesprächspartner. Zumindest schien er nicht auf ein Abenteuer aus zu sein, und das war ihr gegenwärtig ganz recht. »Waren Sie schon einmal in Pfaffenhofen?«
Er schüttelte den Kopf und reichte ihr den Zucker. »Leider nicht, aber sobald es meine Zeit erlaubt, will ich mir Bayern sowieso einmal genauer ansehen. Es ist seit langem mein Wunsch.«
Als die Witwe des Fliegers eines Tages beiläufig erwähnte, daß sie nach ihrer Kur nach Hamburg übersiedeln und in das
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