Die weissen Feuer von Hongkong
Mädchen in der »Zimtblüte« hatte wohl kaum etwas damit zu tun. Oder war bei der Sache, die er in der Stadt zu erledigen gehabt hatte, etwas schiefgegangen?
Diese Deutschen schienen ein eigenartiges Volk zu sein. Zuweilen konnte man über ihr Pflichtbewußtsein lächeln, über den Ernst, mit dem sie an ihre Arbeit gingen, und dann plötzlich warf sie irgendein Ereignis aus dem Gleis. Sie sackten förmlich in sich zusammen. Conolly hatte außer Kolberg nie mit einem Deutschen näher zu tun gehabt. Obgleich sie nun jahrelang gemeinsam flogen, war ihm doch nie klargeworden, was für ein Mensch dieser große, breitschultrige Fred Kolberg wirklich war.
Die Stimme des Einweisers aus dem Turm schreckte den Kopiloten aus seinen Überlegungen. Sie gab den Start frei. Conolly ließ die Motoren aufheulen. Dann rollte die Skymaster an. Sanft hoben sich ihre Räder von der Piste ab. Die Maschine gewann an Höhe, während sie einen Kreis über der Stadt zog. Die vergoldeten Tempeldächer blitzten in der Sonne. Bangkok war längst erwacht. Die Mönche in ihren rostroten Roben waren bereits unterwegs, das Frühstück zu erbetteln. Auf einer Grünfläche ließen Kinder bunte Drachen steigen. Aus den Straßenschluchten stiegen die grauen Rauchfäden der Kochfeuer, Autos krochen über die Rajadamnuen. Über dem Fluß mit den zahllosen Sampans und Dschunken waberte dünner Morgendunst. Als Conolly die Skymaster auf Kurs brachte, schwebte sie bereits über dem Teppich aus dunkelgrünem Wald, gemustert mit den hellen Reisfeldern und den wirren Linien der Wege und Gewässer.
»Well«, brummte er in das Bordmikrophon, »Mazzoli, wie war die Lady mit dem Ponyschnitt?«
Der Italiener antwortete nicht. Brooks sagte spöttisch: »Schönes Mädchen. Ein Pfund schöner als das andere.«
Daraufhin nannte Mazzoli ihn einen blutigen Idioten, der vermutlich mit saurer Milch aufgezogen worden sei. Das übliche Bordgespräch schleppte sich dahin. Frauen, Erinnerungen an hundertmal erzählte Abenteuer, wieder Frauen. Es war immer das gleiche. Nur die Mutmaßungen über den Einsatz in Korea waren neu. Es schien, als könne nur der Krieg eine Abwechslung in die Gedanken dieser Männer bringen.
Fred Kolberg kam nach der zweiten Zwischenlandung zu sich. Er öffnete langsam die Augen und sah, daß Conolly ihn nicht beachtete. Da schloß er die Augen wieder und überlegte. Sie sollen mich gehen lassen. Ich habe keine Lust, die B-29 in Korea zu fliegen. Was geht mich der Krieg der Amerikaner in Korea an? Ich bin nicht einmal Amerikaner. Kein Mensch hat mir gesagt, weshalb meine deutsche Staatsbürgerschaft erloschen ist. Sie haben nur erklärt, daß mein alter Paß, qer mit dem Hakenkreuz, nichts mehr gilt, und den haben sie schon im Internierungslager eingezogen. Chennault, der mich dort herausholte, fragte nicht nach einem Paß. Er brauchte Piloten. Und wen er einmal in den Krallen hat, den hält er fest, mit allen Mitteln. Aber wie ist denn das? Hat ein Mann nicht das Recht, seine Entscheidungen selber zu treffen? Bis jetzt haben das immer andere für mich getan. Soll das so weitergehen? Der Junge wird älter. Soll er ebenso staatenlos sein wie ich? Soll er sich in Hongkong herumtreiben, oder in Macao? Ich habe eine Handvoll Rosenquarz nach der anderen geschmuggelt, und ich könnte mir in einer Fälscherbude in Hongkong jeden Paß der Welt kaufen. Auch einen deutschen. Und was dann? Nach Hause? Wo ist das? In Erfurt? Da sind die Kommunisten. In Westdeutschland? Dort sitzen die Amerikaner. Und wenn mich Chennault nicht gehen läßt und ich einfach weglaufe, wird er mich dann nicht als Deserteur suchen lassen? Sein Arm reicht bis nach Westdeutschland, er hat es mir selbst einmal gesagt.
Er hörte, daß der defekte Motor wieder zu stottern begann. Wenn ich den Jungen nicht hätte, dann wäre es das beste, Conolly jetzt abzulösen und diese dreimal verfluchte Skymaster gegen den nächsten Felsen zu steuern. Das dauerte nur ein paar Sekunden, und alles wäre vorbei. Ein Blitz und eine Qualmwolke - aus. Aber hat ein Vater nicht die Pflicht, seinem Kind beizustehen?
Er öffnete wieder die Augen und sah die vertraute Umgebung: die Glaskanzel mit den Instrumenten und Conolly mit der lässig im Mundwinkel baumelnden Zigarette.
»Nimm die Zündung zurück, dann setzt er wieder ein«, sagte der Pilot mechanisch.
Conolly gehorchte grinsend. Sachlich erkundigte er sich: »Möchtest du kotzen, Chef?«
Kolberg wartete, bis der Motor wieder gleichmäßig lief.
Weitere Kostenlose Bücher