Die weissen Feuer von Hongkong
über das Haar und lächelte. »Das wünsche ich mir auch.«
»Und daß er dann bei uns bleibt und nicht mehr fliegt und sonntags immer mit uns Ausflüge macht, auf den Peak und nach Aberdeen, nach Sung Wong Toi und Tao Feng Shan, nach Kam Tin und Sha Tin.«
Er war müde. Während er die Ausflugsorte der Kolonie aufzählte, verlor sich seine Stimme und wurde zu einem undeutlichen Gemurmel. Judith wollte ihn daran erinnern, daß dafür keine Zeit mehr sein wurde, jedenfalls nicht in Hongkong. In Deutschland würden sie andere Plätze mit anderen Namen besuchen, die sie selbst noch nicht kannte. Aber sie merkte, daß sein Kopf zur Seite sank. Da verließ sie das Zimmer und setzte sich nebenan ans Fenster.
Die Stadt lebte noch einmal auf. Die Gasse, in der sich das Hotel befand, lag ein wenig abseits der breiten Straßen, aber selbst bis hierher drang das Hupen der Autos, das Geklingel der Rikschas, das Stimmengewirr und das Durcheinander der unzähligen Geräusche. Sie schaute auf die blinkenden Lichter herab und versuchte sich vorzustellen, was Fred jetzt wohl tun würde. Doch auch sie war müde, und wenig später fiel sie in einen leichten Schlaf.
*
Kolberg sah die Dschunke langsam davonziehen, während er seine Füße abspülte und die Schuhe anzog. Er streifte die Hosenbeine herab und versuchte der zerknitterten, immer noch ein wenig feuchten Uniform das beste Aussehen zu geben, indem er sie glattzog. Dann entfernte er sich, so schnell er konnte, vom Strand. Erst nach einigen hundert Metern blieb er zwischen dichten Büschen stehen und vergewisserte sich, daß die Dschunke weiterfuhr.
Jener alte Fischer war ihm mehr als eigenartig vorgekommen. Ein Mensch, der, ohne viel zu fragen, einem anderen half - das war eine Seltenheit. Noch jetzt wurde Kolberg den Gedanken nicht los, der Alte könnte irgend eine Absicht verfolgt haben, doch sein Verdacht schien sich nicht zu bestätigen. Es fiel ihm trotzdem schwer, daran zu glauben, daß jemand ihm uneigennützig half, dennoch war es wohl so. Er sah, wie das Segel der Dschunke allmählich hinter einer Landzunge verschwand. Er war allein. Das Wasser lag ruhig. Weiter landeinwärts blinkten die hell erleuchteten Fensterfronten der Hotels. In ihrer Nähe traf Kolberg auf die ersten abendlichen Spaziergänger. Sie beachteten ihn nicht. Er stahl sich an den Hotels vorbei und bestieg schließlich eine Rikscha, deren verschlafener Fahrer ihn erstaunt musterte. Es kam selten vor, daß um diese Nachtzeit ein Weißer zur Stadt fahren wollte. Aber auch er stellte keine Fragen. Er zündete seine Karbidlampe an, die an der Hinterachse befestigt war, dann schwang er sich in den Sattel.
Ein Fremder konnte sehr leicht den Eindruck gewinnen, daß dieses kleine, turbulente Hongkong, dieser prächtig illuminierte Kreuzweg Asiens, nie schlafen ging. Die Stadt besaß zweifellos etwas einmalig Ruheloses, Aufgewühltes. Ihre Lichter zuckten hektisch, ihre Stimmen starben nie, selbst nicht in der Stunde vor Sonnenaufgang. Es schien, als verlöre sich auch die Wolke von Gerüchen nie, die die Stadt einhüllte - jene eigenartige Mischung von Auspuffqualm und dem Rauch der Kochfeuer, von Abwässergestank und Gewürzduft, vermengt mit Spuren von Moschus und Mottenpulver, Kampfer und Räucherwerk, Fischgeruch und salziger Seeluft.
An den Straßenrändern lagen die Schläfer, denen es in den Gebäuden zu heiß war, aber auch jene, die kein Zuhause hatten. Greise rauchten Tabak aus langen Bambuspfeifen. Niemand hätte sagen können, ob sie keine Ruhe fanden oder ob sie einfach die Nacht mit dem Tage vertauschten, weil sie lieber die sonnenheißen, lärmerfüllten Tagesstunden verschliefen und dafür in der angenehmen Kühle der Nacht unter dem klaren Sternenhimmel die Welt betrachteten, in der sie nur mehr eine befristete Zeit zu vegetieren hatten.
In den Basaren brannte noch Licht. Hier legten die Händler Waren für den kommenden Tag zurecht. Lastenrikschas rollten knarrend vorüber, hoch beladen mit Fleisch oder Gemüse, mit Früchten oder Stoffballen. In den dunklen Schluchten der engen Gassen kicherten ein paar grellgeschminkte Mädchen, klapperten Holzsandalen. Autos rollten mit leise surrenden Motoren über den glatten Asphalt, und zwischen den verwirrend ineinandergeschachtelten Häuserlabyrinthen trieben sich räudige, verlauste Hunde herum, wütend jeden Happen Abfall verteidigend.
Kolberg sah das alles nicht zum erstenmal. Die großen Städte Asiens glichen einander beinahe zum
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