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Die weissen Feuer von Hongkong

Die weissen Feuer von Hongkong

Titel: Die weissen Feuer von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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Verwechseln. Hongkong oder Bangkok, Singapore oder Saigon, Taipeh, Rangoon - allen gemeinsam war die stinkende Armut, schlecht versteckt hinter einer Fassade von bunten Lichtern und vielfenstrigen Zementburgen der Bankgebäude, von Bars, Kaufhäusern und Parks. Es war überall das gleiche, wenn die Sprachen sich auch voneinander unterschieden und die Gesichter der Menschen. Asien hatte tausend Gesichter, aber die Geschwüre an seinem Körper, die eitrigen Wunden und die aufgetriebenen Bäuche, die zerlumpte Kleidung und das leise Gewimmer der Kinder waren überall gleich.
    Die Jahre, die Fred Kolberg in diesem Teil der Erde verbracht hatte, waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Sie hatten seinen Blick geschärft. Es gelang ihm jedoch nicht, das richtig zu deuten, was er sah. Zuweilen versuchte er, die Zusammenhänge zu ergründen, aber er merkte immer wieder, daß ihm dazu der Schlüssel fehlte. Es hieß, daß die Kommunisten das Elend abgeschafft hätten, überall da, wo sie die Macht in Händen hielten. Und es gab dem Flieger zu denken, daß dieses Asien heute geteilt war. Da waren noch andere große Städte: Schanghai und Peking, Kanton und Phoengjang. Wenige hatten sie gesehen, seit die Kommunisten dort herrschten. Trotzdem sprachen die einfachen Leute mit Respekt von ihnen. Und in ihrem Respekt lag eine Spur von Sehnsucht, von stiller Sympathie, nicht selten mit einem Schuß Neid gepaart.
    Kolberg blickte nachdenklich auf den gekrümmten Rücken des Rikschafahrers. Der Mann trug eine zerschlissene Kattunjacke, die Hosen hatte er bis zu den Knien hochgekrempelt. Tief über den Lenker gebeugt, trat er die Pedalen. Die Fahrt würde ihm zwei Dollar einbringen. Manchmal verdiente er an einem ganzen Tag nur zwei Hongkong-Dollar. Irgendwo mochte er eine Familie haben, eine Frau und ein halbes Dutzend Kinder in einem primitiven Quartier. Ein Rikschafahrer verbrachte die Nächte meist in seinem Gefährt an irgendeiner Straßenecke. Dann und wann fuhr er einmal zu seinen Angehörigen, sah die heranwachsenden Kinder und gab der Frau ein paar Geldstücke. Es war bedrückend zu wissen, daß ein Rikschamann trotzdem noch zu denen gehörte, die eine Kleinigkeit verdienten. Maß man ihr Einkommen an dem der Hafenkulis und Gelegenheitsarbeiter, dann war es sogar hoch.
    »Hallo, du!« rief er den Mann an. »Habe ich dir eigentlich gesagt, wohin ich will?«
    Der Fahrer blickte sich um. Er lächelte. »Nein. Aber ich weiß plenty guten Platz für Mister. Sehr bekannt. First Class. Name heißt ,Capital‘. Sehr groß. Bar mit Musik. Bester Trommler von ganz Hongkong: Tony Diaz. Beste Sängerin aus Singapore: Miß Poon Sao Ken. Allerbester Platz für Mister, so spät in der Nacht.« Er sprudelte nur so heraus, was in jenem Etablissement auf den Gast wartete. Kolberg kannte das »Capital«. Es besaß zehn verschiedene Lokale, jedes war im Stile eines anderen europäischen Landes ausgestattet. Auch die zur Unterhaltung engagierten Mädchen stammten jeweils aus diesen Ländern. Das »Capital« war bis zum Morgen geöffnet, ein Haus für Leute, die es vorzogen, in Hongkong die Tage in kühlen Hotelzimmern zu verschlafen und erst nach Sonnenuntergang aufzubrechen.
    »Nicht zum ,Capital‘«, sagte Kolberg. »Kennst du das Hotel ,Eisvogel‘?«
    Der Mann bremste die Rikscha ein wenig und drehte sich wieder um. Seine Stimme klang enttäuscht. Er hatte gehofft, für den Tip mit dem »Capital« ein gutes Trinkgeld zu bekommen. »,Eisvogel‘? Dort kann man um diese Zeit nur schlafen, sonst nichts, Mister.«
    »Eben das will ich ja.«
    »Es ist ein kleines Hotel, Mister.«
    »Ich weiß.«
    »Vielleicht gibt es dort nicht einmal mehr Whisky.«
    »Das macht nichts. Fahr zum ,Eisvogel‘.«
    »Wie Sie wünschen, Mister«, sagte der Fahrer betont höflich. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß er sich bei diesem Weißen getäuscht hatte. Ein Amerikaner, der nachts vom Strand nach Hongkong fährt und dort nichts weiter will als schlafen, das hörte sich an wie ein schlechter Scherz. Aber es schien doch so zu sein, denn als die Rikscha vor dem »Eisvogel« hielt, in der Gasse, die ziemlich still und verschlafen dalag, stieg der Amerikaner aus, zahlte seine zwei Dollar, deutete einen Gruß an und verschwand im Eingang des Hotels. Der Rikschamann schwang sich nachdenklich wieder in den Sattel. Sollte sich der Satan mit den Weißen auskennen!
    Die Halle des »Eisvogel« war von einer kleinen Notlampe matt beleuchtet, die über dem Tisch des

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