Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Titel: Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
Vom Netzwerk:
leihen?« Lydias Herz schlug plötzlich schneller. »Also warst du mit im Haus?«
    Nora nickte.
    Kerstin Diercke berührte mit den Fingern das Gesicht ihrer Tochter. »Oh, mein Gott, Nora! Das hast du mir ja gar nicht gesagt! Wenn dieser Kerl, dieser … wenn er nur ein wenig früher gekommen wäre …« Sie ließ den Satz in der Luft hängen. Für einen Augenblick war es still in dem kleinen Kinderzimmer, so still, dass man vom anderen Ende der Wohnung ein Kläffen und eine verhaltene Stimme hörte.
    Schließlich beugte Salomon sich vor. »Wie lange warst du bei Toni?«
    »Nur ganz kurz. Ein paar Minuten.«
    »Hast du jemanden gesehen? Vor der Tür oder vielleicht im Garten?«
    Nora schüttelte den Kopf.
    »Sicher nicht? Auch kein Auto auf der Straße, das gerade gehalten hat?«
    Nora drückte die Hand ihrer Mutter fester an ihr Gesicht und schluchzte. Kerstin Diercke nahm ihre Tochter in die Arme und strich ihr über das Haar. Es war offensichtlich, dass das Mädchen heute keine Fragen mehr beantworten würde.
    Lydia und Salomon verließen schweigend die Wohnung.
    Als sie draußen standen, sprach Salomon aus, was beide dachten. »Verdammt kurze Zeitspanne, die für die Tat bleibt. Nora hat ihre Freundin gegen Viertel nach vier verlassen, vielleicht sogar noch später, und um halb fünf kam Michael Bruckmann bereits nach Hause. Dann bleiben fünfzehn, maximal zwanzig Minuten für den Kampf, den Sturz die Treppe hinunter und die Vergewaltigung.«
    »Der ungleiche Kampf hat bestimmt nicht lang gedauert«, sagte Lydia, ohne ihn anzusehen. »Und eine Vergewaltigung kann innerhalb von dreißig Sekunden beendet sein.«
    »Das stimmt natürlich. Das würde aber bedeuten, dass der Täter mit dem Timing wahnsinniges Glück hatte.«
    »Oder er wusste genau Bescheid.« Lydia zog den Wagenschlüssel aus ihrer Parkatasche. »Vielleicht hat er bereits im Haus gewartet, als die Mädchen kamen, und nach der Tat wurde er von Bruckmann verscheucht.«
    »Möglich wär’s. Aber es bleibt knapp. Vor allem, weil offenbar niemand den Kerl gesehen hat.«
    »Wir haben Dezember«, sagte Lydia. »Um halb fünf ist es bereits stockdunkel.«
    »Ich weiß«, räumte Salomon ein. »Trotzdem ist das fast nicht zu schaffen.«
    Lydia nickte grimmig. »In dem Fall bliebe nur Bruckmann als Täter. Aber davon wolltest du eben ja nichts hören.«
    »Eben wusste ich noch nicht, was ich jetzt weiß.« Salomon trat gegen den Reifen von Lydias Toyota. »Die eigene Tochter, dieses Schwein.«
    Olaf Schwarzbach knallte das Telefon in die Halterung. Heute hatte sich offenbar die ganze Welt gegen ihn verschworen.
    »Ist alles in Ordnung?« Melanie stand im Türrahmen, er hatte sie nicht kommen hören.
    »Jetzt ist der Franz auch noch krankgeschrieben«, antwortete er. »Wie sollen wir das denn zu zweit packen? Wir haben morgen einen Firmenumzug, da brauche ich jeden Mann.«
    »Dann musst du eben eine Aushilfe dazuholen. Oder am besten zwei.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn man krank ist, ist man krank. Da hilft alles nichts.«
    Er versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, welche verschlüsselte Botschaft wohl noch in ihren Worten steckte, konnte ihren Blick jedoch nicht ergründen. Jetzt erst sah er den Ordner, den sie bei sich trug. »Was ist los? Gibt es ein Problem?«
    »Ach.« Melanie schaute ebenfalls auf den Ordner, so als hätte er sich ohne ihr Wissen in ihre Hände geschmuggelt. »Ich bin durch mit der Ablage«, erklärte sie. »Das hier wollte ich mir mit nach Hause nehmen. Ich habe gerade mit Leonie telefoniert. Es geht ihr besser. Ich werde ihr einen Tee kochen und etwas Leichtes zum Essen zubereiten. Kartoffelbrei vielleicht.«
    »Muss das sein?«, fuhr er sie an. »Sie kann sich doch selbst Tee kochen und ein paar Kekse oder Zwieback essen!«
    Als er das entsetzte Gesicht seiner Frau sah, wurde ihm bewusst, wie seine Worte für sie geklungen haben mussten. Er zwang sich, ruhig ein- und auszuatmen. »Ich dachte nur, dass es ihr vermutlich ganz guttut, ein wenig im Haus herumzulaufen. Das bringt den Kreislauf in Schwung«, setzte er lahm hinzu. Er war sich darüber im Klaren, wie lächerlich sich seine Erklärung anhörte. Aber was sollte er sonst sagen? Bleib hier! Lass unsere Tochter in Ruhe! Das ist das Beste, was du für ihre Gesundheit tun kannst.
    Einmal hatte er es versucht. Allerdings war er da anders vorgegangen. Vorsichtig. Ganz zaghaft. Melanie hatte einen hysterischen Schreikrampf bekommen und ihn herzlos und grausam genannt. Seither

Weitere Kostenlose Bücher