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Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Titel: Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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erkläre. Komm schon.«
    »Wo ist sie?« Melanies Stimme klang mit einem Mal schrill. »Was ist los? Ist sie krank? Hast du sie ins Krankenhaus gebracht?« Sie rannte zum Wagen, zerrte an den Türgriffen, spähte durch die Scheiben. »Leonie! Leonie!« Sie stürzte zu ihm zurück, zog an seinem Ärmel. »Wo ist mein Kind? Wo ist sie?«
    Er machte sich los und trat ins Haus.
    »Olaf! Antworte mir!« Melanie folgte ihm in die Küche.
    Er ließ sich auf einem Stuhl nieder. »Leonie geht es gut.«
    Das war gelogen. Sie hatte ihn mit großen, angsterfüllten Augen angeschaut, als er sich verabschiedet hatte. Die Frau, die auf seine Tochter aufpassen sollte, war ihm auf Anhieb unsympathisch gewesen. Sie war groß und dick und hatte etwas von einer Dampfwalze, die krampfhaft gute Laune verbreitete. Sie hatte Leonie selbstgebackene Weihnachtsplätzchen aufgenötigt, sie an ihren riesigen wabbelnden Busen gedrückt und dann in ein Zimmer voller Plüschtiere und Puppen geschoben.
    »Wo ist sie denn?«, fragte Melanie wieder, ein bisschen ruhiger.
    »Setz dich. Bitte.«
    Melanie hockte sich auf die Stuhlkante. Ihr Blick war misstrauisch.
    »Ich habe schon ein paarmal versucht, mit dir darüber zu reden«, begann Olaf. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, sein Rücken war klatschnass.
    »Worüber?« Wieder klang ihre Stimme, als würde sie sich jeden Moment überschlagen.
    »Dass Leonie ständig krank ist«, sagte er, ohne sie anzusehen.
    Melanie antwortete nicht.
    »Ich habe mich schlaugemacht, habe uns Unterstützung gesucht.«
    »Unterstützung? Was für eine Unterstützung?«
    »Wir schaffen das nicht allein.« Er nahm ihre Hand.
    »Was schaffen wir nicht allein?« Sie schaute ihn verständnislos an. »Ich verstehe das nicht. Wovon redest du überhaupt?«
    »Du bist krank, Melanie. Du brauchst Hilfe. Diese Krankheit nennt man Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom.«
    Sie zog die Hand weg, sagte nichts, schaute ihn nur fassungslos an.
    »Du machst Leonie absichtlich krank«, fuhr er fort, »damit du dich um sie kümmern kannst. Ich weiß nicht, warum du das tust. Vielleicht weil du Svenja nicht helfen konntest. Weil du es an Leonie wiedergutmachen möchtest. Du musst eine Therapie machen. Damit ihr beide gesund werden könnt.«
    Melanies Unterlippe zitterte. »Ich habe unserer Tochter nie etwas getan, Olaf. Keiner unserer Töchter. Wie kannst du es nur wagen …«
    »Bitte, Melanie!« Olaf beugte sich vor, wollte wieder ihre Hand nehmen, doch sie sprang auf, stolperte rückwärts, bis sie gegen die Spüle stieß.
    »Wo ist Leonie?«, flüsterte sie. »Wo ist meine Tochter? Wo hast du sie hingebracht?«
    »An einen sicheren Ort.«
    »An einen sicheren Ort?«, schrie sie. »Du meinst einen Ort, wo sie sicher vor mir ist?«
    »Das hast du gesagt.« Er erhob sich, bewegte sich jedoch nicht auf sie zu.
    »Und du hast es gemeint.« Melanie stand da. Tränen liefen ihr über das Gesicht, ihr ganzer Körper zitterte.
    Olaf Schwarzbach fühlte sich wie ein Schwein. »Ich möchte dir doch nur helfen, Melanie.«
    »Ich verstehe«, murmelte sie mit gepresster Stimme, wandte sich ab und ging aus der Küche. Er hörte, wie sie die Treppe hinaufrannte und die Badezimmertür hinter sich zuknallte.
    Benommen ließ er sich wieder auf den Stuhl sinken. Er sollte ihr folgen, sie beruhigen, in den Arm nehmen, doch er war unfähig, sich zu bewegen. Eine tiefe, schwere Müdigkeit legte sich über ihn. Leonie hatte ihre zweite Chance sein sollen, ihre Chance auf ein wenig Glück, nachdem ihnen Svenja auf so grausame Weise genommen worden war. Was für eine idiotische Idee. Als könne ein Kind ein anderes ersetzen, als könne es die Wunden heilen, die der Tod aufgerissen hatte, als könne es heilen, was unheilbar war.
    Oben im Bad fiel etwas zu Boden, Glas splitterte. Erschrocken sprang Olaf auf. Melanie! Wenn ihr etwas zustieß, würde er sich das nie verzeihen.
    12
    Chris Salomon zögerte, bevor er den Klingelknopf drückte. Die Aussicht darauf, noch einmal mit den Bruckmanns zu sprechen, hob nicht gerade seine Stimmung. Seit Sonjas Anruf hatte er schlechte Laune. Er war verärgert, hatte das Gefühl, Sonja wäre in einen Teil seines Lebens eingedrungen, in dem sie nichts verloren hatte. Doch in Wirklichkeit ärgerte ihn nicht, dass sie ihm während der Arbeitszeiten hinterhertelefonierte, sondern dass Lydia Zeugin des Gesprächs geworden war. Die letzte Nacht saß ihm immer noch in den Knochen. Vermutlich versetzte es viele Männer in

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