Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
Triumphstimmung, innerhalb von wenigen Stunden mit zwei Frauen zu schlafen – und so glimpflich davonzukommen. Doch er fühlte sich mies dabei, und jede Kleinigkeit, die ihn an den Moment der Schwäche erinnerte, vergrößerte sein schlechtes Gewissen.
Chris klingelte, und im gleichen Augenblick waren hinter der Tür Schritte zu hören.
»Ich habe Ihren Wagen schon gesehen«, sagte Bruckmann statt einer Begrüßung und reckte den Hals. »Heute allein?«
»Guten Tag, Herr Bruckmann. Ich müsste kurz zwei Fragen klären.«
»Natürlich.«
Sie gingen in die Küche. Bruckmann setzte sich nicht, und Chris blieb ebenfalls stehen.
»Meine Frau hat sich hingelegt. Sie müssen also mit mir vorliebnehmen.«
»Kein Problem.« Das war womöglich eine gute Gelegenheit. Vielleicht ging Bruckmann mit dem Thema Vaterschaft von Mann zu Mann offener um. Chris beschloss, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. »Ihre Frau hat uns erzählt, dass Sie nicht Antonias leiblicher Vater sind.«
In Bruckmanns Gesicht zuckte es kurz, doch er hatte sich sofort wieder im Griff.
»Was hat das mit Antonias Tod zu tun?«
»Vermutlich nichts.« Chris unterdrückte den Impuls, auf Bruckmanns unverhohlene Feindseligkeit ebenso schnippisch zu reagieren. »Trotzdem muss ich Sie fragen, ob Sie davon wussten.«
»Natürlich wusste ich es.« Bruckmann klang jetzt lässig, beinahe arrogant.
»Und?« Chris lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und steckte die Hände in die Jackentaschen. Es sollte entspannt wirken, doch er merkte selbst, dass es eher einen unbeholfenen Eindruck machte.
»Nichts und«, blaffte Bruckmann. »Wollen Sie jetzt in unserem Privatleben herumschnüffeln?«
Chris nahm die Hände wieder aus den Taschen. »Herr Bruckmann, ich verstehe, dass das ein heikles Thema für Sie ist und Sie vermutlich nicht gern darüber sprechen. Aber ich muss ausschließen können, dass Antonias Herkunft etwas mit ihrem Tod zu tun hat.«
»Antonias Herkunft? Wie meinen Sie das?« Er klang plötzlich misstrauisch, hatte die Augen zusammengekniffen.
»Wissen Sie, wer Antonias Vater ist?«
Bruckmann stieß verärgert Luft aus. »Das hat meine Frau Ihnen doch schon erzählt. Oder nicht? Sie hatte eine kurze Affäre. Das war unmittelbar nach ihrer Krankheit. Wir hatten eine sehr schwere Zeit hinter uns, und um unsere Ehe stand es nicht so gut. Ich glaube, Nicole brauchte diese Affäre, um sich selbst zu beweisen, dass sie noch lebte. Dass sie den Tod besiegt hatte.«
»Und Sie haben das einfach so akzeptiert? Das Kind dieses fremden Mannes als ihr eigenes angenommen?«
»Ja. Ich war mir bewusst, dass ich meinen Anteil daran hatte, dass es so weit gekommen war.« Bruckmann wirkte mit einem Mal nicht mehr überheblich. Er ließ sich auf einem Stuhl nieder, legte die Hände auf den Tisch und musterte sie. »Und ich war froh über die zweite Chance. Antonias Vater war ein Urlaubsflirt. Nicole hat zu keinem Zeitpunkt etwas für ihn empfunden.«
»Kennen Sie ihn?« Chris setzte sich ebenfalls.
»Nein.« Bruckmann blickte auf. »Und Nicole weiß auch nicht mehr als seinen Vornamen. Kein Nachname. Keine Adresse. Er hat nichts mit unserem Leben zu tun. Außer dass er uns Toni geschenkt hat.« Er senkte den Kopf. »Toni war meine Tochter. Egal was Ihr Gentest dazu sagt.« Er sah Chris an. »Haben Sie Kinder?«
»Eine Tochter.« Die Worte kamen über seine Lippen, bevor sein Verstand ihn bremsen konnte.
»Dann verstehen Sie mich.«
Nicht im Geringsten, dachte Chris, ebenso wenig, wie Sie mich verstehen würden, selbst wenn Sie von Anna wüssten. Er räusperte sich und wechselte rasch das Thema. »Ich muss Ihnen noch eine weitere Frage stellen: Nora Diercke hat uns erzählt, dass Toni und sie vor einigen Wochen ein Mädchen kennengelernt hätten, eine gewisse Leonie. Sagt Ihnen der Name etwas?«
Michael Bruckmann sah ehrlich erstaunt aus. »Leonie? Nein. Den Namen habe ich noch nie gehört. Woher kannten die beiden das Mädchen denn?«
»Offenbar wohnt sie in der Nähe von Noras Oma in Wersten. Nora und Antonia haben ein paarmal dort gespielt. Ist das richtig?«
Bruckmann seufzte. »Mir war es gar nicht recht, dass die beiden so viel allein unterwegs waren. Sie waren doch erst zehn. Aber Kerstin sieht das alles viel lockerer. Vielleicht liegt es daran, dass sie einen älteren Sohn hat. Sie hat uns immer wieder überredet, Toni Dinge zu erlauben, die wir eigentlich strikt ablehnen.«
»So wie in der Stadt einzukaufen?«
»Ja. Ich fand, dafür waren sie
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