Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
Kollegen von der Wache Fußball spielen, doch er hatte den Arsch nicht hochgekriegt und war entsprechend mies gelaunt, zumal ihn im Büro der gleiche langweilige Aktenberg vom Freitagnachmittag erwartet hatte.
Und jetzt war er auf dem Weg zu einem Suizid. Irgendeine gelangweilte Hausfrau hatte sich von der Welt verabschiedet. Warum hatte Weynrath nicht Halverstett losgeschickt? Der war doch im Moment der Experte für Selbstmorde. Das Letzte, worauf Hackmann jetzt Lust hatte, war eine trauernde Familie. Wie ihn das alles ankotzte!
Hackmann setzte den Blinker und bog von der Schnellstraße ab. Immerhin war er in der Mission Lydia Louis einen Schritt weiter. Bei dem Gedanken daran leckte er sich unwillkürlich über die Lippen. Doch kein ganz verlorener Tag.
Er fand das Haus, ohne nach der Nummer Ausschau halten zu müssen. Ein Notarzt und ein Krankenwagen parkten in der Einfahrt, eine Streife stand am Straßenrand. Er hielt hinter dem Streifenwagen und stieg aus. Das Haus sah ein wenig vernachlässigt aus, nicht richtig verwahrlost, nur nicht so piekfein herausgeputzt wie die Nachbarn rechts und links.
Ein Kollege in Uniform kam Hackmann entgegen. Einer von den Jungs, mit denen er gestern hatte kicken wollen. »Wir haben dich vermisst, Thomas. Wo hast du gesteckt?«
»Hatte was Besseres vor.« Er grinste.
»Du Glückspilz.« Der Kollege wurde ernst und blätterte in seinem Notizblock. »Suizid. Tablettencocktail, so wie es aussieht. Seit etwa zwei Stunden tot. Die Frau war gelernte Krankenschwester, sie wusste also, was sie tat.«
»Irgendwelche Auffälligkeiten?«
»Eigentlich nicht. Die Badezimmertür war von innen abgeschlossen, der Notarzt musste sie aufbrechen. Einen Abschiedsbrief haben wir allerdings noch nicht gefunden.«
»Angehörige?«
»Ehemann. Steht unter Schock. Es gibt wohl noch eine Tochter, aber die ist nicht zu Hause. Der Mann sagt, sie sei bei Freunden zu Besuch. Mehr habe ich noch nicht aus ihm rausbekommen.«
»Gut. Danke.« Bevor Hackmann ins Haus trat, sah er aus den Augenwinkeln, wie ein Leichenwagen anrollte. Ein schöner sauberer Fall also. Dann konnte er wenigstens schnell wieder abhauen. Im Flur roch es muffig. Suchend blickte er sich um. Von oben kam der Notarzt die Treppe herunter. Hackmann wies sich aus und ließ sich noch einmal bestätigen, was sein Kollege ihm erzählt hatte. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stieg er hinauf und betrat das kleine Bad.
Die Frau war um die vierzig, hatte ein paar Kilo Übergewicht und kurze, blonde Haare, die an der Schläfe von verkrustetem Blut verklebt waren. Sie lag auf dem Rücken, die Beine angewinkelt, die Arme seitlich vom Körper ausgestreckt. Der Rock war ein Stück hochgerutscht, sodass ihre kräftigen, weißen Oberschenkel zu sehen waren, die gestreifte Bluse saß perfekt. Sie hatte weder Strümpfe noch Schuhe an. Hackmann streifte sich ein Paar Latexhandschuhe über und beugte sich über die blutige Stelle am Kopf.
»Vermutlich vom Sturz«, sagte der Notarzt, der ihm nach oben gefolgt war.
Hackmann drehte sich zu ihm um. »Sicher?«
»Nein. Aber es sieht so aus, als hätte sie die Tabletten im Stehen geschluckt und dann gewartet, bis sie wirken. Beim Umfallen ist sie auf das Waschbecken geprallt.«
»Hm.« Hackmanns Blick fiel auf den linken Unterarm der Frau, sein Puls beschleunigte sich. Mit zwei Fingern schob er den Ärmel der Bluse hoch. Er hatte richtig gesehen. Das Handgelenk war grünblau verfärbt. Er ließ den Ärmel los und wandte sich wieder an den Arzt. »Die Tür war abgeschlossen?«
»Ja.«
»Und das Fenster?«
»Da habe ich nicht drauf geachtet.«
Der uniformierte Kollege tauchte im Türrahmen auf. »Alles klar?«
»Nicht ganz«, erwiderte Hackmann. »Ich will die Spusi hier haben. Niemand soll mehr etwas anfassen.«
»Du glaubst, dass es kein Suizid war?«
Hackmann zog stumm noch einmal den Ärmel der Bluse hoch.
»Scheiße«, murmelte der Kollege. »Ich funke die Leitstelle an.« Er stürmte aus dem Bad.
»Und ich rede mit dem Ehemann. Wo finde ich ihn?«
»In der Küche«, antwortete der Notarzt.
»Haben Sie ihm irgendwas zur Beruhigung gegeben?«
»Er wollte nicht.«
»Gut so.« Hackman zog die Handschuhe aus. Am Treppenabsatz drehte er sich noch einmal um. »Wie heißt der Mann eigentlich?«
»Olaf Schwarzbach. Seine Frau hieß Melanie.«
Rita Schmitt fischte den Teebeutel aus dem Becher und warf ihn in den Müll. Sie schnupperte und verdrehte genüsslich die Augen. »Ah.«
Halverstett
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