Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
warf ihr einen Blick zu. »Immer noch auf Wolke sieben?«
Rita lächelte. »Es geht mir gut, ja.« Sie nippte an dem Tee. »Aber du scheinst auch ein angenehmes Wochenende gehabt zu haben. Hat es sich zu Hause ein bisschen eingerenkt?«
Er sah sie überrascht an. Sie schien doch mehr von seinen privaten Konflikten mitbekommen zu haben, als ihm bewusst war.
»Entschuldige, ich wollte nicht aufdringlich sein.« Sie setzte sich wieder an den Schreibtisch und beugte sich über eine Akte.
»Du bist nicht aufdringlich. Ich war nur überrascht, dass du etwas gemerkt hast.«
Rita hob den Kopf. »Dass ich etwas gemerkt habe?« Wieder lächelte sie. »Meine Güte, Klaus. Du bist seit Wochen zerstreut und launisch. Mal euphorisch, dann wieder am Boden zerstört. Ich hätte ein Felsbrocken sein müssen, um nichts zu merken.«
»So schlimm?«
»Nicht schlimm. Eher – interessant.«
»Aha.« Er lehnte sich zurück und betrachtete seine Kollegin. Seit sie zusammenarbeiteten, hatten sie kaum mehr als ein Dutzend private Gespräche geführt. Wider Erwarten fühlte es sich gut an. »Ich dachte nur, weil du doch selbst frisch verliebt bist, hättest du es nicht bemerkt.«
»Im Gegenteil. Meine Beziehung mit Rafi schärft meine Sinne. Ich bin noch nie mit so offenen Augen durch die Welt gegangen.«
»Das freut mich für dich.« Halverstett meinte es ehrlich, auch wenn er einen Stich von Neid verspürte. Und er sah es Rita an. Ihr Gesicht war runder und strahlender geworden, ihre Augen leuchteten. Nur der bunte Pullover sah aus wie aus der Kinderabteilung eines Kaufhauses, und die lila Cordhose dazu empfand er auch nicht als sonderlich geschmackssicher. Aber dieser Rafi schien auf andere Dinge Wert zu legen. Musste ein kluger Mann sein.
»Meine Frau und ich, wir haben eine schwierige Zeit hinter uns«, sagte er.
»Und jetzt ist es besser?«
Halverstett zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
»Mit welchem Ziel?«
Er starrte sie an. »Na, unsere Beziehung zu kitten.«
Rita sagte nichts.
»Reicht das nicht?«, fragte er irritiert. Er begann sich zu ärgern, dass er sich auf dieses Gespräch eingelassen hatte. Was für eine Schnapsidee, mit einer frisch verliebten jungen Frau über die Probleme einer langjährigen Ehe zu sprechen.
»Das musst du wissen.« Sie umfasste ihren Teebecher, trank aber nicht.
»Wir haben beschlossen, mehr als dreißig Ehejahre nicht einfach wegzuwerfen«, brummte er. »Das mag jungen Leuten wie dir lächerlich vorkommen. Uns ist es ernst. Und dafür muss man Opfer bringen.«
»Wie du meinst.« Rita nahm einen Schluck Tee. »Jedenfalls freut es mich, dass es zu funktionieren scheint.«
Halverstett senkte den Kopf. Er sollte dieses Gespräch sofort beenden. Er versuchte die Stelle in der Akte zu finden, die er eben gelesen hatte, doch seine Konzentration war dahin.
»Du bist anderer Meinung als ich?«, fragte er, ohne den Kopf zu heben.
»Du musst selbst wissen, was gut für dich ist, Klaus. Das kann dir keiner abnehmen. Aber wenn du bei irgendetwas ein schlechtes Gefühl hast, dann ist da vermutlich was dran.«
Er hob den Blick. Doch Rita hatte sich ebenfalls über ihre Akte gebeugt.
Es klopfte. Ein Kollege stieß die Tür auf. »Halverstett? Hier ist ein Herr, der dich unbedingt sprechen möchte. Er sagt, du erwartest ihn.«
Ein Mann in schmutzigen, abgerissenen Kleidern und mit strähnigem grauem Haar schob sich ins Zimmer. Er hielt eine Wollmütze in der Hand und drehte sie verlegen hin und her.
Halverstett starrte ihn an. »Ecki?«
Der Mann nickte.
»Danke.« Halverstett winkte dem Kollegen, der sich rasch verzog, und sah wieder zu dem Stadtstreicher. »Setzen Sie sich.« Er deutete auf den Stuhl vor seinem Schreitisch.
Ecki trat näher und zog dabei eine Gestankwolke hinter sich her. Halverstett beobachtete, wie Rita unauffällig ein wenig zur Seite rückte. Der Mann blieb vor dem Stuhl stehen, doch er setzte sich nicht.
Er warf einen Blick zu Rita. »Ich würde gern unter vier Augen mit Ihnen reden, Herr Kommissar.«
Rita sprang sofort auf. »Kein Problem. Ich nehme mir die Akte mit in die Kantine.« Schon war sie verschwunden.
Zögernd schob sich der Mann auf den Stuhl.
»Ihr Name?«, fragte Halverstett und zog die Tastatur zu sich heran.
»Eckhard Gruber. Geboren am 25.8.1975.«
Halverstett hörte auf, die Informationen in die Maske auf dem Bildschirm einzugeben. Seine Finger verharrten reglos in der Luft. Er hätte den Mann
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