Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
der Tür drehte Lydia sich zu Salomon um. »Danke, dass du nichts von Palmerson gesagt hast.«
»Keine Ursache. Ich will auch, dass wir den wahren Täter kriegen.«
Kriminalhauptkommissar Klaus Halverstett blieb einen Augenblick vor dem Eingang des Polizeipräsidiums stehen und atmete die klare Winterluft ein. Obwohl er gründlich gelüftet hatte, stank das Büro immer noch nach Eckhard Gruber, nach Alkohol, Schmutz und einem Leben in der Gosse.
Langsam schlenderte Halverstett die Lorettostraße entlang. Er war früh dran für seine Verabredung. Noch einmal horchte er in sich hinein, und es fühlte sich immer noch gut an. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Nachdem er mit Gruber fertig gewesen war, hatte er Maren Lahnstein eine SMS geschickt. Habe auf meinen Instinkt gehört. Lust auf einen Kaffee? Er hatte nicht aufdringlich sein und sie anrufen wollen, und er hatte auch nicht ernsthaft mit einer Antwort gerechnet. Doch wie so oft in letzter Zeit lag er falsch. Zwanzig Minuten, nachdem er die Nachricht verschickt hatte, hatte sein Handy gepiepst. Frida. 17:00 Uhr?
Das »Frida« lag nur ein paar Gehminuten vom Präsidium entfernt. Halverstett trat ein und blickte sich suchend um. In dem Café mit der mexikanisch bunten Einrichtung waren die meisten der abgewetzten Holztische belegt, doch ein kleiner am Fenster war noch frei. Da er Maren nirgendwo entdecken konnte, setzte er sich an den freien Tisch und bestellte einen Espresso.
Sie kam um zwanzig nach fünf, atemlos und mit von der Winterkälte geröteten Wangen. Ihr Anblick brachte seinen Herzschlag kurzzeitig aus dem Gleichgewicht.
»Hallo«, sagte sie. »Es hat etwas länger gedauert, als ich dachte. Tut mit leid.«
»Macht nichts.« Irgendetwas in seinem Schädel fuhr Achterbahn, und er musste sich konzentrieren, um nicht zu stottern. »Ich freue mich, dass du da bist.«
Sie legte ihren Mantel über die Stuhllehne und sah ihn an.
»Es war eine idiotische Vereinbarung«, fuhr er fort. »Und ich möchte mich dafür entschuldigen.« Es war ein merkwürdiges Gefühl, gegen dieses höllische Rasen in seinem Inneren anzureden, und er fragte sich, ob Maren es ihm anmerkte.
Sie setzte sich. »Was sagt denn deine Frau dazu?«
»Noch nichts.« Er seufzte. »Ich werde heute Abend mit ihr reden. Ich habe mich spontan entschlossen, auch in diesem Fall meinem Instinkt zu folgen. Nachdem es sich an anderer Stelle auch als richtig erwiesen hat.«
»Der Stadtstreicher, der die Treppe hinuntergestürzt ist?«
»Ja.«
»Er ist gestoßen worden?«
»Stimmt.« Es half, über die Arbeit zu reden. Die Achterbahn wurde langsamer, er gewann die Kontrolle zurück. »Allerdings war es allenfalls Körperverletzung mit Todesfolge oder fahrlässige Tötung. Es lag keine Tötungsabsicht vor. Blöderweise habe ich immer noch das Gefühl, dass noch ein Puzzleteil fehlt. Vielleicht bin ich auch nur unzufrieden, weil sich durch meine Ermittlungen nichts Wesentliches am Ergebnis ändert. Außer dass irgend so ein armer Tropf jetzt vor Gericht muss.«
Maren bestellte einen Milchkaffee. »Wenn du bisher so erfolgreich deinem Instinkt gefolgt bist, dann bleib dabei.«
»Und wie?«
»Such das Puzzleteil.« Sie lächelte, und er war so froh wie seit Wochen nicht mehr.
Olaf Schwarzbach bog auf die Autobahn und beschleunigte. Während Häuser, Wiesen und Felder an ihm vorbeiflogen, überlegte er, ob er an alles gedacht hatte. Zwei Taschen mit Wäsche, Pässe, Geld, die Fotoalben und die Bilder, die im ersten Stock an der Wand gehangen hatten. Nach kurzem Zögern hatte er auch Leonies Schulsachen eingepackt. Sie musste ja irgendwie weiterlernen, auch wenn er im Augenblick noch nicht wusste, wie er das organisieren sollte. Das würde sich finden. Erst einmal musste er sich auf wichtigere Dinge konzentrieren.
Dieser Kripobeamte, Hackmann, hatte ihn in die Mangel genommen wie einen Schwerverbrecher. Schwarzbach hatte gespürt, dass er ihn am liebsten auf der Stelle verhaftet und aufs Präsidium gebracht hätte. Beim nächsten Mal würde er das bestimmt tun. Deshalb würde Olaf Schwarzbach dafür sorgen, dass es kein nächstes Mal gab. Er hatte die dicke Frau angerufen und ihr strikte Anweisungen erteilt. Jetzt konnte er nur hoffen, dass sie sich daran hielt. In zwanzig Minuten war er bei Leonie, und dann würde er mit ihr verschwinden. Er hatte Svenja verloren. Er hatte Melanie verloren. Leonie nahm ihm niemand weg. Dafür würde er sorgen, notfalls auch mit Gewalt.
Er hatte sich immer
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