Die Weiterbildungsluege
weniger
als zu viel vorzunehmen und auch mal »Nein« zu sagen. Aber ganz los wird sie den alten Fluch bis heute nicht. Sie hat einfach
so viele Interessen. Und wenn man mal was anfängt ...
Hält man sich diesen Fall vor Augen, erhebt sich zwangsläufig die Frage, was zwei- oder dreitägige Work-Life-Balance-Seminare
für ausgebrannte Manager im Wellnesshotel erreichen sollen. Immerhin sind sie trendy. Und vielleicht schwitzt ja mancher in
der Sauna seine alten Muster aus.
Körper und Psyche:
Aus Maulwürfen werden keine Königstiger
Das wäre schön, wenn man Denkmuster einfach rausschwitzen oder wegmassieren könnte. Doch sie sind zu eng verwoben mit unserem
Körper. Unsere Persönlichkeit ist quasi Fleisch geworden. Alexander Lowen spricht in seinem Psychotherapie-Konzept der Bioenergetik
von »Körperpanzern« 17 . Muskeln drücken die innerpsychische Lage aus. Es äußert sich im Gesicht, in Körperhaltungen oder der Stimme. Und das sieht
man beim einen mehr und beim anderen weniger. Sie brauchen nur mal einen Ausflug zum |36| Bahnhof zu machen und Leute zu beobachten. Sie erleben bisweilen ein Gruselkabinett der Physiognomien: Menschen, denen es
die Petersilie verhagelt hat, geprügelte Hunde und natürlich den Glöckner von Notre Dame. Ganz spontan werden Ihnen Thesen
in den Sinn kommen, welche Lebensgeschichte hinter manch einem Körperausdruck steckt.
Und das verdeutlicht umso mehr, warum sich unsere Persönlichkeit nicht einfach durch Seminare abstreifen lässt. Und weil ich
gerade über das Thema Work-Life-Balance gesprochen habe, fällt mir ein junger Manager ein, den ich in einem Führungsseminar
traf. Der Mann hatte eine unheimliche Präsenz und sprühte vor Energie, wie ein Atomreaktor. Ein langer Augenkontakt war gar
nicht möglich, ohne Kopfweh zu bekommen. Ich fragte mich, wie seine Mitarbeiter diese Intensität aushielten, auch wenn er
ein netter Kerl war. Nun: Er hatte just die Rolle eines Sales Managers übernommen. Sein Job war es, Kreuzfahrtschiffe mit
Touristen zu füllen. Der Mann war der typische Rechtsüberholer und Autobahndrängler. Er gehörte der Spezies an, die am Flughafen
mit Freisprecheinrichtung im Ohr den ganzen Airport beschallen und Sprüche auswerfen wie: »Triffst du den auch physikalisch?«
Am Wochenende stand er oftmals um 5 Uhr in der Frühe auf, um Karriere und Familie zu managen. Er ackerte noch mal eben einen
Stapel Fachzeitungen und Bücher durch, um sich dann voll auf »Windeljumping« zu konzentrieren – wie er das Windelwechseln
bei seinem Junior nannte. Die Seminargruppe war sich angesichts seiner Ausstrahlung einig, dass sein Chef ihn heiß und innig
liebte. Wer so viel Elan und Ehrgeiz an den Tag legt, ist das ideale Nutzvieh für ein Unternehmen. Eine 70-Stunden-Woche?
Kein Problem. Doch die Kollegen sahen schon den Rettungshubschrauber am Horizont. Denn solch ein Pensum kann über kurz oder
lang nur beim Arzt oder Bestatter enden. Sie rieten ihm, zu einem Work-Life-Balance-Training zu gehen – doch er war der festen
Überzeugung, Privat- und Berufsleben optimal ausbalanciert zu haben. Und genau an diesem Punkt greift ein heimtückischer Mechanismus |37| , der mit unserem Wahrnehmungssystem zu tun hat. Wir sind gefangen in einer Art »Tunnelblick«. Wir sehen immer nur einen kleinen
begrenzten Ausschnitt der Welt. Es ist quasi so, als wenn Sie durch ein zusammengerolltes Blatt Papier Ihre Umwelt betrachten.
Wir blenden Informationen aus, deuten sie um oder verallgemeinern sie. Das ist auch nötig, weil wir sonst pro Sekunde eine
Milliarde Informationseinheiten verarbeiten müssten. Sagt die Wahrnehmungspsychologie. Durch diesen Tunnelblick sind wir aber
nicht in der Lage, komplett andere Blickwinkel einzunehmen. Wir nehmen eigentlich nur das wahr, was wir ohnehin schon wissen.
Dieser Tunnelblick ist durch unsere persönliche Biografie entstanden und damit Fleisch geworden. Er ist auch der Grund dafür,
weshalb Gesundheitssendungen im Fernsehen immer nur von den Leuten gesehen werden, die ohnehin schon gesundheitsbewusst sind.
Die Zuschauer, die damit eigentlich erreicht werden sollen, schauen lieber eine Soap. Auf unseren Sales Manager bezogen heißt
das: Da er seine Welt durch den Tunnelblick »Alles in Ordnung« betrachtet, werden warnende Worte oder sogar psychische und
körperliche Warnzeichen ausgeblendet. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass für ihn die viel zentralere Frage
Weitere Kostenlose Bücher