Die Weiterbildungsluege
global an Aufgaben heranzugehen und sich einen Überblick zu verschaffen. Seine Beobachtung
war: »Die fängt direkt an, auf ein Thema zu hüpfen und sich in Details festzubeißen.« Die Folge war, dass sie sich stets verzettelte,
Termine nicht realisierte und sich oft mehr Arbeit als nötig machte. Der eigentliche Chef der Juristin diagnostisierte einen
Mangel an Selbst- und Zeitmanagement und verordnete ihr ein zweitägiges Training dazu. Sie lernte etwas über Zeitpuffer, A-,
B- und C-Aufgaben, Zeitfresser – und was man sonst so an Techniken mit auf den Weg bekommt. Ihr gefiel auch alles sehr gut,
bloß mit der Umsetzung haperte es. Der Druck auf sie erhöhte sich, denn natürlich erwartete ihr Chef, dass sich ihre Leistungen
verbesserten. Sie mühte sich ab wie ein Hochspringer, der immer ab einer bestimmten Höhe die Latte reißt. Ihr Frust steigerte
sich, sie fühlte sich als Versagerin. Über ihr hing ständig dieses Damoklesschwert, das besagte: »Wenn du nicht besser wirst,
überstehst du die Probezeit nicht.« Sie überstand sie, weil ihr Chef nett war und ihr lieber noch einige Seminare angedeihen
ließ. Aber ihre Kollegen stöhnten und lästerten in der Teeküche. Sie mussten ausbaden, was die Juristin aufgrund ihrer Desorganisation
nicht schaffte.
|54| Falsch verpflanzt: Das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel
Ungeschickte Personalauswahl ist nur ein Grund, weshalb in Unternehmen gute Mitarbeiter auf falschen Positionen sitzen. Ein
anderer sehr häufiger Grund sind diverse Veränderungsprozesse in Firmen. Die Verantwortliche für Training and Development
eines großen Telekommunikationsunternehmens berichtete mir, dass ihre Firma etwa alle drei Monate einen Change zu verkraften
habe. In anderen Unternehmen ist es ähnlich. Da gibt es Umstrukturierungen, Produktivitätsaktionen, Fusionen oder Strategiewechsel.
Die Mitarbeiter kommen morgens in ihr Büro und plötzlich arbeiten sie im vierten Stock. Und dabei war das Gebäude gestern
noch ein Flachbau. Eine Führungskraft berichtete mir entnervt, dass sie die Organigramme gar nicht mehr ausdruckt, weil sich
ohnehin jeden Monat etwas im Unternehmen verändert. Im Rahmen von Change-Prozessen finden sich Mitarbeiter plötzlich in Aufgaben
oder auf Stellen wieder, die überhaupt nicht ihren Fähigkeiten und Kompetenzen entsprechen. Die Weiterbildung soll es dann
ausbügeln. Und manchmal trifft es auch die Leute aus der Personalabteilung selbst, die sich um die besagte Weiterbildung der
Mitarbeiter kümmern. Wenn das passiert, ist jedoch die sozialromantische Ader beim Teufel, wonach jeder Mensch alles lernen
kann, wenn er nur will. Zum besseren Verständnis der Reihe nach.
Sie hieß Bärbel und arbeitete in der Abteilung Human Resources, kurz HR-Abteilung. Eine Vollblut-Personalerin. Mitarbeiter
betreuen von der Wiege bis zur Bahre: Einstellen, Umstellen, Ausstellen. Eines Tages kündigte sich im Flurfunk der Vorbote
apokalyptischer Ereignisse an. Schließlich erfuhr es auch die HR-Abteilung offiziell. Eine »Produktivitätsaktion« stand ins
Haus. Um die Kosten zu senken und die Erträge zu steigern, sollten rund 20 Mitarbeiter entlassen werden. Jede Abteilung im
Unternehmen hatte einen Beitrag zu bringen. Wirklich jede Abteilung? Auch HR? Es traf besagte Bärbel, die die Produktivitätsaktion
professionell mit abwickelte – bis sie erfuhr, dass sie sich selbst gleich mit aussortieren |55| konnte. Doch halt. Da sie eine sehr gute Mitarbeiterin war, offerierte ihr das Unternehmen die Möglichkeit, in die Abteilung
Supply Chain zu gehen. Sie wählte mit Begeisterung Supply Chain – weil der Arbeitsmarkt angespannt war. Sie arbeitete von
da an im 3. Stock und trauerte dem Dasein in der Personalabteilung nach. Für sie hieß es, sich in neue Systeme einzuarbeiten
und Einkaufsverhandlungen mit Lieferanten zu führen. Dem geneigten Leser springt vermutlich ins Auge, dass Personaladministration
etwas komplett anderes ist, als Einkaufsverhandlungen zu führen. Es erübrigt sich, darüber zu berichten, wie unglücklich die
Dame war. Sie hatte zwar äußerlich die Kröte geschluckt, in ihr quakte aber abgrundtief ihre geschundene Seele. Es war nicht
ihr Ding, auch wenn sie Trainings bekam und sich arrangierte. Und vielleicht hatte die Firmenleitung gedacht, sich mit diesem
Schachzug elegant aus der Schlinge zu ziehen. Statt Entlassung oder Aufhebungsvertrag offerierte sie einen »Tod auf Raten«.
Die
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