Die Weiterbildungsluege
Leitung hoffte, die Mitarbeiterin würde auf eigene Initiative das Weite suchen. Doch Fehlanzeige. Sie ging in die Opferrolle
und leistete suboptimale Dienste. Sie bestand sogar darauf, im Gehalt heruntergestuft zu werden, weil sie es im Kollegenkreise
nicht ertrug, überbezahlt zu sein.
Dass solche Change-Prozesse Mitarbeiter nicht nur an ihre natürlichen Grenzen führen, sondern auch auf einen leidvollen Dornenpfad,
verdeutlicht der Fall einer Sekretärin. Sie hatte etliche Jahre für einen Bereichsleiter gearbeitet, bis ihre Stelle gestrichen
wurde. Da die 34-Jährige als High Performerin galt, die auf ihrer Position einen Top-Job machte, glaubte man, sie könne auch
gute Leistungen als Supervisorin im Call-Center des Unternehmens bringen. Falls Sie es nicht wissen: Supervisoren übernehmen
als Teamleader verschiedenste Führungsaufgaben, organisieren die Arbeitsabläufe und haben die kundenorientierte Ausführung
der Aufträge zu verantworten. Sie übernehmen die Funktion des Bindeglieds zwischen den Agenten und dem Manager des Call-Centers.
Von der Sekretärin zur Supervisorin – für einige mag es |56| Karriere sein – für andere ist es der Sprung in einen Spagat, aus dem man nicht wieder aufsteht. Die 34-Jährige spürte sofort
und instinktiv, dass dieser neue Job nichts für sie war. High Performer wissen, was sie gut können. Sie ging deshalb zu ihrem
Chef, um ihm klar zu sagen: »Ich bin zwar ein bisschen unsicher, aber das ist ein toller Job.« Im Kopf hatte sie derweil den
Gedanken, dass er zumindest besser sei, als arbeitslos zu sein. Folglich bekam sie ein Schulungsprogramm. Ein dreiviertel
Jahr später traf ich sie wieder. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und sie wirkte irgendwie ausgemergelt. Sie schaute traurig
aus dem Betriebsratsbüro heraus. Schnell erfuhr ich, dass sie vor kurzem einen heftigen Bandscheibenvorfall erlitten hatte.
Zufall oder Warnschuss der Psyche? Sie war etliche Wochen aufgrund ihrer Krankheit ausgefallen. Da sie immer noch eingeschränkt
war, konnte sie nur ein bestimmtes Stundenkontingent arbeiten. Sie war auch nicht mehr Supervisorin, sondern als Assistenz
für den Betriebsratsvorsitzenden abkommandiert worden. Für sie gab es kein Ende des Tunnels.
Doch nicht nur durch Stellenstreichungen werden Mitarbeiter in Jobs gezwungen, in denen sie natürliche Grenzen haben, die
mit Weiterbildung nicht überwindbar sind. Schon gar nicht mit ein paar Tagen Training, wie es in der Praxis üblich ist. In
einem großen Möbelkonzern wurde der Innendienst umstrukturiert. Fast 50 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren davon betroffen.
Ursprünglich hatten sie die Aufgabe, Anfragen und Reklamationen von Kunden am Telefon zu bearbeiten und den Außendienst zu
unterstützten. Durch die Umstrukturierung bekamen sie zusätzlich die Rolle eines Debitorensachbearbeiters zugewiesen. Die
Tätigkeitserweiterung bedeutete einerseits eine schriftliche Sachbearbeitung. Anderseits mussten die Mitarbeiter Kunden anrufen,
um offene Rechnungen einzutreiben. Ein Hauptgrund für die Umstrukturierung war die Idee »One-Face-to-the-Customer«. Oder anders
gesagt: Wenn Mahnbuchhaltung und Vertrieb in einer Hand liegen, kann der Kunde die beiden Funktionen nicht gegeneinander ausspielen.
Die neue zentrale Kommunikationsfähigkeit |57| bestand darin, verhandlungsstark und selbstsicher mit saumseligen Kunden zu telefonieren. Nicht jedermanns Sache. Und für
einen Kollegen von mir war im Trainingsprozess bald klar, welcher der Mitarbeiter hier an seine natürlichen Grenzen stieß,
weil er eher der zurückhaltende Typ war. Das Ende vom Lied ist bei Veränderungsprozessen immer wieder: Nicht jeder passt aufgrund
seiner Einstellungen und Fähigkeiten in die Rolle, die das Unternehmen ihm anbietet oder von ihm erwartet. In Zeiten hoher
Arbeitslosigkeit und persönlicher finanzieller Verpflichtungen ertragen Mitarbeiter die neuen Anforderungen und spielen das
Spiel mit. Die Folgen sind Krankheit, innere Kündigung oder schlechte Leistungen. Und was das für den Unternehmenserfolg bedeutet,
weist nun auch erstmals eine Studie statistisch nach, die weltweit als die größte Studie zu Unternehmenskultur, Arbeitsqualität
und Mitarbeiterengagement gilt. Demnach ist die Unternehmenskultur für bis zu 31 Prozent des finanziellen Erfolgs verantwortlich.
Befragt wurden im Jahr 2006 mehr als 37 000 Beschäftigte in 314 Unternehmen aus den zwölf größten
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