Die Weiterbildungsluege
im Alltag vereinzelt etwas anwenden, doch es bleibt am Ende sehr viel Spielraum und Selbstverantwortung. Und damit gibt
es genügend Ansatzpunkte für den inneren Schweinehund.
|81| Machen wir uns doch einmal klar, was nach einem Seminar passiert. Die Euphorie ist spätestens am nächsten Tag vorbei, wenn
einen die kalten Hände des Tagesgeschäfts packen. Das Seminarskript, der Aktionsplan und die Hausaufgabe liegen noch oben
auf dem Schreibtisch und der Teilnehmer sagt sich: »O. K., mache ich später.« Das Daily Business tobt. Das E-Mail-Fach ist
bis zum Anschlag voll. Ab und zu kehren die Gedanken zum Training zurück: »Wollte ich machen.« Schlechtes Gewissen stellt
sich ein. »Passt aber jetzt gerade zeitlich nicht rein.« Denn wenn man abwägt, ist das operative Geschäft einfach wichtiger
als die Seminarinhalte. Manch umsichtiger Teilnehmer hat sich sogar in seinem Terminkalender Nacharbeitszeiten eingetragen,
die dann nach und nach gekippt werden. »Ich hatte mir drei Tage fest notiert«, berichtete mir kürzlich ein Teilnehmer bei
einer Folgeveranstaltung. »Dann musste ich hier eine Krise lösen, da für den Vorgesetzten dringend eine Präsentation machen
und schwupp lösten sich meine guten Vorsätze in Luft auf.« Angesichts von Zeit- und Ressourcenkonflikten muss man Prioritäten
setzen. Und wenn man dann abends todmüde nach Hause schwankt, stellt sich die nächste Prioritätenfrage: Ist noch Kraft und
Lust da, sich jetzt mit den Seminarinhalten zu befassen? Nein, man muss sehen, dass man arbeitsfähig bleibt. Also lieber doch
Sport. Oder einfach mal abschalten. Freunde treffen. Ach ja – die Familie. Und am Wochenende ist es genauso. Die Gedanken
»Ich wollte doch … Ich müsste mal …« werden weniger, denn die Prioritäten liegen anders. Die Zeit vergeht und plötzlich ploppt
eine Mail im Eingangsfach auf. Der Trainer erinnert an die Umsetzung der Lernaufgabe. »Muss das jetzt auch noch sein?«, ärgert
sich der Teilnehmer angesichts seines vollgepackten Terminkalenders. Gleichzeitig wundert er sich: »Sind die vier Wochen wirklich
schon um?« Und emsige Gemüter spornen sich an: »Jetzt aber schnell irgendwas bis zum nächsten Termin zurechtbasteln, damit
man nicht blank zieht.« Andere schicken die Mail zurück, dass sie gerade keine Zeit haben oder antworten gar nicht. Dass sich
dieses Vorgehen nicht eignet, um neue stabile Gewohnheiten |82| aufzubauen oder tiefgründiges Wissen zu erwerben beziehungsweise anzuwenden, ist klar. Einige werden sich an dieser Stelle
fragen, wo denn der Vorgesetzte ist, der mal interessiert nachfragt oder die Umsetzung des Gelernten kontrolliert. Das ist
ein anderes Kapitel. Nur so viel schon an dieser Stelle: Er hat keine Zeit und glaubt, der Mitarbeiter wird es schon richten.
Und dann kommt der Tag, an dem das nächste Modul stattfindet. Als Trainer stelle ich dann üblicherweise fest: Die Erinnerung
an vermitteltes Wissen ist reichlich dünn und wenn man mal eine Übersicht der Tools erstellt, die die Teilnehmer im Lauf der
Zeit erarbeitet haben, ist die Überraschung groß, was man schon alles im Gepäck hat. Auf die Frage, was sie davon anwenden,
wird mit rührender Ratlosigkeit geantwortet. Dafür kann fast jeder eine Geschichte zu den Erfahrungen mit der Umsetzung seiner
Lernziele erzählen. Was davon stimmt, weiß Gott allein. Manche Teilnehmer sind sogar so offen, dass sie sagen, dass sie keine
Zeit hatten, sich mit den Vorsätzen zu befassen. Und was macht dann der Trainer? Zieht er den Teilnehmern die Ohren lang oder
verpetzt sie beim Chef? Natürlich nicht. Teilnehmerschutz. Oberstes Gebot ist die Vertraulichkeit. Er gibt höchstens ein Gesamtfeedback
zu der Seminargruppe an seinen Auftraggeber. Meistens an den Zuständigen aus der Personalentwicklung. Was dann mit der Rückmeldung
passiert, weiß wieder Gott allein. Vielleicht geht die Botschaft weiter an die jeweiligen Chefs. Und was dann dort passiert?
Weiß Gott allein. Es ist alles reine Selbstverantwortung.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir momentan über Seminarteilnehmer sprechen, die grundsätzlich offen für die Weiterbildung
waren und durchaus positive Vorsätze hatten. Wir sprechen nicht über jene, die geschickt wurden und eine Veranstaltung als
Zeitdieb betrachten. Wir sprechen auch nicht über die Teilnehmer, die bereits am Ende eines Seminars durch ihre Äußerungen
zu erkennen geben, dass sie schon jetzt
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