Die Weiterbildungsluege
die Mitarbeiter mögliche Fehlerquellen aufgrund der Berufserfahrung einschätzen. »Wie groß der Schaden ist,
weil auf dem Weg Fehler unerkannt bleiben, lässt sich gar nicht konkret beziffern«, gestand mir die 45-Jährige.
Das Ziel der Personalentwicklungsmaßnahme bestand nun darin, die Führungskräfte dazu zu bewegen, das Tool in ihren Bereichen
motivierend und konsequent anzuwenden. Deshalb erhielten 300 Vorgesetzte einen eintägigen Workshop mit einem externen Trainer.
Interessantes Detail am Rande: Im Gespräch erfuhr ich, dass im Haus sehr wohl bekannt war, welche der 300 Chefs das Tool bereits
mit Überzeugung in ihrem Bereich anwendeten und welche nicht. Trotzdem wurden alle zur Teilnahme zwangsverpflichtet. In den
Workshops gab es brave Zustimmung, wie wichtig das Tool sei und dass man jetzt mal zusehen müsse, es anzuwenden. Mit diesen
Lippenbekenntnissen gingen dann alle wieder auseinander. Die Hoffnung war, dass das Tool nun mehr angewendet würde. Ich betone:
Hoffnung. Doch das war nur ein Teil des Konzepts. Denn die Analyse hatte auch ergeben, dass es eklatante Wissenslücken gab.
Die Entscheidung war, mehr als 50 interne Experten auszubilden, die das Tool beherrschten und die Anwendung moderieren sollten.
Es waren Mitarbeiter, die von ihren Chefs zwangsfreiwillig zu Multiplikatoren ernannt wurden. Die Ausbeute war jedoch bescheiden.
Aber man nimmt halt, was man kriegt, und wagt dann auch nicht zu meckern. Denn nur ein Drittel der Multiplikatoren war fachlich
mit dem Tool vertraut, moderationsversiert und auch noch offen, sich auf ein bestimmtes Anwendungsprozedere einzulassen. Trotz
des Wissens, dass die Multiplikatoren nach der Schulung noch nicht wirklich fit waren, |200| wurden sie ins Feld gelassen. »Es war nicht gewünscht, eine Prüfung oder Abnahme zu machen«, bedauerte die Personalentwicklerin.
Man wollte die mühsam gewonnen Multiplikatoren nicht durch Tests verschrecken. Außerdem war es zu zeitaufwändig.
Bleibt zu konstatieren, dass sehr viele Leute geschult wurden, ohne sicherzustellen, ob sie das Gelernte auch in der erwünschten
Qualität anwendeten. Und das ist schon paradox, wenn der Ausgangspunkt der Aktivitäten ein strategisch wichtiges Qualitätsziel
ist. Am Ende hat die Firma aber auch nicht mehr erreicht als bei der vielkritisierten Gießkannen-Praxis. Und was mir besonders
zu denken gibt ist die Tatsache, dass ein Drittel der Chefs das Tool verantwortlich anwendete. Müsste man da nicht nur einfach
mal von oberster Ebene den anderen zwei Dritteln Dampf machen? Mich erinnerte das Ganze jedenfalls an die Kuschelkurs-Manager
aus Kapitel 5, die Weiterbildung aus Gründen der Konfliktvermeidung verordnen.
Der Feind in meinem Office:
Strategisch aufgeladene Personalentwickler
Im Jahr 1284 bezirzte in Hameln ein wunderlicher Mann in buntem Tuch lästige Nager mit seinem Pfeifchen. Würde der allseits
bekannte Rattenfänger heute durch die Lande ziehen und die Melodie von der strategischen Personalentwicklung flöten, dann
könnte er gewiss sein, enthusiastische und fröhlich pfeifende Personalentwickler im Gefolge zu haben. Eingangs sprach ich
bereits davon, dass sich diese Berufsgruppe geradezu magisch von der Vorstellung »HR als Businesspartner« angezogen fühlt.
Eine Personalentwicklerin aus der Finanzdienstleistungsbranche sagt: »Wenn man auf höherer Ebene mit dem Vorstand und Führungskräften
zusammen am Tisch sitzt und plant, das Unternehmen neu zu strukturieren, dann ist es ein hoch interessantes Projekt und hat
auch diese gewisse Wertigkeit.« Die normale Tagesarbeit sei dagegen stinklangweilig und nicht so prestigeverdächtig. Ganz |201| unumwunden gibt sie zu, wie sie ihre Freiheitsgrade nutzt: »Ich tue nur die Dinge, die auch Spaß machen und mir was bringen
– an Daseinsberechtigung oder Gehaltserhöhung.« Ein Training on the Job im stillen Kämmerlein gehöre nicht dazu, auch wenn
es für den Einzelfall gut und effektiv sei.
Es ist kaum verwunderlich, dass Personalentwickler so denken, denn in diversen Fachartikeln werden sie förmlich dazu aufgerufen.
Da heißt es: »Der Weg ins Zentrum der Macht ist lang und muss schrittweise begangen werden.« 75 Und später: »Personalentwickler sollten sich selbst Aufträge suchen, sich Schuhe anziehen, die strategische Bedeutung haben,
und sich danach fragen, was ihr Unternehmen braucht.« 76 Auftragsdenken ablegen und proaktiv mitgestaltend in die
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