Die Weiterbildungsluege
dann kommt es wieder zu Ad-hoc-Entscheidungen
ohne langfristige Planung«, kritisiert der Leiter einer Weiterbildungsakademie die gängige Praxis, die auch eine Personalentwicklerin
aus einem IT-Unternehmen bei so vielen Firmen erlebt. Da sei das Motto: Machen wir mal ein Seminar. »Irgendwas wird rausgepickt,
aber es ist eigentlich nicht so richtig bedacht. Es ist keine richtige Personalentwicklung.« Die Betriebe betreiben Weiterbildung
nach dem Zufallsprinzip und |193| nach Gutdünken. »Wildwuchs« nennt das der Personalentwickler eines Wasserentsorgungsunternehmens, »weil dahinter jedwedes
Konzept und jede Systematik fehlt, sehr bedarfsgerecht die Kompetenzen zu schulen, die aktuell und in Zukunft für das Unternehmen
wichtig sind«. Besonders hanebüchen sei der Ansatz von Geschäftsleitungen, Mitarbeiter an einem Tag zu trainieren, meint eine
Personalentwicklerin aus der Finanzdienstleistungsbranche. Manchmal gebe es den Hauch eines Intervalltrainings. »Wenn es mal
zwei Trainingstage gibt und noch einen halben irgendwann hinterher, dann ist das schon viel.« Auf diese Weise seien das Erlernen
neuer Fähigkeiten und Nachhaltigkeit überhaupt nicht möglich. Mangelnde Kontinuität kritisiert auch der Personalleiter eines
Kaufhauses: »Weiterbildung versandet, wenn nur sporadisch etwas gemacht wird. Es hat keinen Sinn, mal ein Seminar anzubieten.«
Schauen wir nun, was die Weiße-Weste-Fraktion neben Vorwürfen an Verbesserungen zu bieten hat. Für den wissenschaftlich wenig
trainierten Leser versuche ich die nachfolgenden Erläuterungen in normales Umgangsdeutsch zu übersetzen. Trinken Sie vorab
einen starken, schwarzen Kaffee, um wach zu bleiben. Doppelter Espresso geht auch. Die Bedarfsermittlung für Weiterbildung
muss funktions- und zukunftsbezogen, systematisch und ganzheitlich betrieben werden, lautete bereits vor einigen Jahren die
Forderung in einem Fachartikel mit dem schönen Titel »Abschied vom Gießkannenprinzip« 71 . Nicht zu vergessen die Botschaft aus einem neueren Fachartikel, in dem Weiterbildungsexperten zum Ausdruck bringen, dass
ein Kompetenzmanagement-System für eine strategisch orientierte Personalarbeit unverzichtbar ist. 72 Hinter beiden Forderungen verbirgt sich folgender Gedanke: Das moderne Unternehmen hat eine Vision und davon abgeleitet kurz-,
mittel- und langfristige Strategien. Dazu passend existiert für jeden Arbeitsplatz eine stets aktuelle Stellenbeschreibung,
bei der die erforderlichen Kompetenzen (Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen, Werte, Motivationen) standardisiert formuliert
und in |194| messbare Größen operationalisiert sind. Es existiert ein Prozess, wonach aufgrund der Kompetenzanforderungen jährlich der
Bildungsbedarf für alle Kollegen erfasst wird. Das Instrument ist üblicherweise das Mitarbeitergespräch. Abgeleitet vom Bildungsbedarf
gibt es präzise und zielgerichtete Schulungen, die dem Unternehmen stringent helfen, seine strategischen Ziele und die Vision
zu erfüllen. Kurzum: Kompetenzbasierte Personalentwicklung bedeutet, dass Personalentwickler mittels Soll-Ist-Abgleichen Fördermaßnahmen
auf die tatsächlichen Business-Bedarfe ausrichten können.
Was sich nun so locker und leicht herunterlesen mag und durch eine gewisse Logik besticht, bedeutet in der Praxis viel Arbeit
und Zeitaufwand für Manager und Personalentwickler. Und so gibt es in dem besagten Fachartikel zur Forderung von Kompetenzmanagement
auch den kritischen Hinweis, »dass das, was in der wissenschaftlichen Kompetenzforschung diskutiert wird, vielen Unternehmen
(auch kommerziellen Beratern) als reichlich praxisfern erscheint« 73 . Die Kernfrage ist damit aber noch gar nicht berührt. Kommt bei diesem hohen Aufwand am Ende wenigstens ein Weiterbildungsnutzen
heraus, der den Unternehmenserfolg sichert?
Einen
Nutzen hat dieser Ansatz auf jeden Fall. Er sichert ein paar Personalentwickler-Stellen.
Damit Sie nun ein Bild davon bekommen, wie besonders größere Unternehmen die erwähnte Theorie in die Praxis umsetzen, will
ich Ihnen das Beispiel eines Führungskräfteentwicklungsprogramms geben. Nennen wir die Firma der Einfachheit halber die GEHEIM
GmbH 74 . Sie hat auf der oberen Führungsetage ihre Hausaufgaben gemacht und eine Unternehmensvision plus neun Leitlinien erstellt:
»Wir sind Deutschlands führender Hersteller von XY und gehören zu den besten Z-Produzenten Europas«, lautet die Vision. Die
Arbeit, die
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