Die Weiterbildungsluege
fragen: »Was bringt mir das? Das ist für mich vergeudete Zeit.
Um zwei Tage hier zu sein, muss ich vier Tage nacharbeiten.« Besonders Verkäufer neigen zu Herzrhythmusstörungen, wenn sie
im 151. Verkaufstraining die Bedeutung der Abschlussfrage erfahren und die Bedarfsklärung üben sollen. Sie fühlen geradezu
den Drang, wieder zurück in die freie Wildnis zu stürmen und ihre Zahlen zu erfüllen. Und wie Verkäufer nun mal sind, quittieren
sie Pflichtveranstaltungen dann auch gleich mit einem flotten Spruch: »Ich verkaufe gut – trotz Seminaren.«
Und so bleibt am Ende doch nur die eine Erkenntnis: Strategisch orientierte Programme sind genauso Geldvergeudung wie die
oftmals |208| kritisierte Gießkannenpraxis. Doch eine Hoffnung gibt es noch. Immer mehr Unternehmen folgen dem Ruf des Bildungscontrollings,
um den Nutzen von Weiterbildung nachzuweisen. Davon handelt das nächste Kapitel.
209
228
209
228
true
|209| Kapitel 9
Trugschluss Bildungscontrolling
Messen kann man nur die Kosten
Neulich saß ich mit dem Leiter der Abteilung Training and Development eines großen Unternehmens aus der Telekommunikationsbranche
zusammen. »Mein Geschäftsführer will immer nur Zahlen, Zahlen, Zahlen«, brach es plötzlich aus ihm heraus. Sein Blick wechselte
nervös zwischen mir und der Tür hin und her. Wahrscheinlich war er mir gegenüber nur deshalb so offen, weil seine Bürotür
hermetisch abgeriegelt war und seine Mitarbeiter in der Kantine saßen. Und er berichtete, wie er jüngst nach allen Regeln
der Kunst den Nutzen eines dreitägigen Work-Life-Balance-Trainings für gestresste Führungskräfte nachgewiesen hatte: Langzeituntersuchung
über ein Jahr, mit einer Test- und einer Kontrollgruppe, um Effekte durch die Maßnahme absichern zu können, Einsatz von verschiedensten
Messmethoden wie 360-Grad-Feedback, Selbstbefragungsbögen und die Erfassung medizinischer Parameter. Alle vier Wochen gab
es das gleiche Messritual bei insgesamt 40 Teilnehmern.
Nicht ohne Stolz kam er auf seine ausgefeilten teststatistischen Methoden zu sprechen, mit denen sich signifikante Mittelswertsunterschiede
zwischen der Test- und Kontrollgruppe nachweisen ließen. Mit der beeindruckenden Formel U = T × N × A × d t × SD y – N × K hatte er schließlich auch den Return on Investment durch die Maßnahme ausgerechnet. Ich komme an späterer Stelle
dieses Buches noch einmal darauf zurück. |210| Zunächst aber fragte ich neugierig: »Und was hat das alles gekostet?« – »Rund 300 000 Euro.« – »Und was hat es gebracht?«
– »Noch mehr Stress bei den Führungskräften und panische Aktionäre. Um das Betriebsergebnis zu sichern, mussten wir ein paar
Leute entlassen.«
Nun könnte man diesen Abteilungsleiter Training and Development für einen armen Irren halten. Doch in Wirklichkeit hat er
versucht, eine Herkulesaufgabe zu lösen, die von Weiterbildungsverantwortlichen geleistet werden soll. Viele Firmen stehen
angesichts der Wirtschaftslage unter Druck, betont Reinhold Weiß, Bildungsexperte des Institutes der deutschen Wirtschaft
in Köln. Daher müsse die betriebliche Weiterbildung in den letzten Jahren zunehmend nachweisen, dass sie zum Firmenerfolg
beiträgt. 77
Dass diese Forderung an Personalentwickler die Quadratur des Kreises verlangt, weiß im Prinzip jeder, der sich mit Evaluation
auskennt. Man kann zwar bis zu einem gewissen Grad Veränderungseffekte sichtbar machen, aber nur mit unerhörtem Aufwand. Evaluationsexperten
wie Jürgen Bortz und Nicola Döring verweisen darauf, dass viele Evaluationsstudien vor unlösbare Probleme gestellt sind, wenn
man den Wert beziehungsweise Nutzen näher beziffern möchte. 78 Und auch Frank Lasogga und Hellmuth Metz-Göckel betonen, dass Studien immer unter Messproblemen zu leiden haben. Die zahlreichen
Maßnahmen, um Fehler oder Vernachlässigungen zu kompensieren, führten wiederum zu anderen Fehlern und Vernachlässigungen. 79 Den Nutzen von Weiterbildungseffekten in Geldwert auszudrücken ist überdies Zahlenspielerei, aber nicht seriös. Einer meiner
Universitätsprofessoren pflegte immer zu sagen, dass es eine Frage des Geldbeutels und der Größe einer Untersuchungsstichprobe
ist, welches Evaluationsergebnis man am Ende erhält. Man kann also alle Wirkungsnachweise für PE-Maßnahmen wunschgemäß beeinflussen.
Das bedeutet aber, dass sich der Nutzen von Weiterbildung in Wahrheit nicht messen lässt, sondern nur
Weitere Kostenlose Bücher