Die Weiterbildungsluege
Personalentwicklung verhalten, ist bei dieser Praxis so unklar wie der Blick durch eine Frontscheibe
bei Platzregen.
Und so bestätigt auch Martina Finkel-Salzer im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität Stuttgart nach einer Befragung
von 270 Personen: »Eine hohe Zufriedenheit der Teilnehmer mit einem Seminar sagt nichts über dessen langfristige |224| Wirksamkeit und den Transfer der Seminarinhalte in den beruflichen Alltag aus.« 90 Das ist auch kaum verwunderlich, weil solche Fragebögen nur den subjektiven Eindruck zum Seminargeschehen abfragen. Dahinter
steht die These: Ist der Teilnehmer zufrieden, dann hat er das bekommen, was seinem Lernbedarf entspricht, und setzt es motiviert
um. Wer so etwas glaubt, dürfte ebenfalls davon überzeugt sein, dass der Storch die Kinder bringt. Denn die Praxis als Trainer
hat mir immer wieder vor Augen geführt, was auch Martina Finkel-Salzer in ihrer Studie feststellte: »Je besser der Rahmen
des Seminars bewertet wird (Seminarräume, Unterbringung im Hotel, Verpflegung), desto größer ist die Zufriedenheit der Teilnehmer
mit dem Seminar. Je höher die Zufriedenheit der Teilnehmer mit dem Seminar hinsichtlich Medieneinsatz, Aufmachung der Seminarunterlagen
und Motivation des Trainers ausfällt, desto höher wird auch der Transferwert in den beruflichen Alltag eingeschätzt.« 91
In der Psychologie kennt man dieses Phänomen unter dem Begriff »Halo-Effekt«: Ein besonderes Merkmal (oder eine besondere
Fähigkeit) überstrahlt andere Merkmale. Eine differenzierte Betrachtung ist nicht möglich. Wirkt zum Beispiel eine Frau attraktiv
und sympathisch, neigen wir dazu, ihr auch eine hohe Kompetenz zuzusprechen. Deshalb haben Trainer, die wie Frankensteins
Erben aussehen, auch keine vollen Auftragsbücher.
Doch es gibt auch Firmen, die über die »happy sheets« hinausgehen. In der
Financial Times Deutschland
war zu lesen, dass von 20 DAX-Konzernen etwa ein Drittel erfasst, ob die Mitarbeiter ihre neuen Erkenntnisse auch anwenden
können. 92 Viel zu wenig, sagen die Verfechter des Bildungscontrollings. Und so kommen immer wieder neue Success-Stories in die Medien,
damit die Unternehmen endlich das ganze Kirkpatrick’sche Stufenmodell durchdeklinieren.
So war in der Fachpresse die Fallstudie eines amerikanischen ROI-Papstes zu lesen. 93 Und wenn man Papst genannt wird, dann ist man entweder Kirchenoberhaupt oder eine gut vermarktete |225| Koryphäe auf Einstein-Niveau. In dem hier genannten Fall ging es um ein Trainingsprogramm für ein großes US-Unternehmen, das
sich mit seinen 20 000 Mitarbeitern um die Pflege und Betreuung kranker und alter Menschen kümmert. Der Gesamtnutzen des Trainingsprogramms
wurde danach mit 478 812 Euro beziffert. Die Kosten betrugen 129 227 Euro. Das Pilotprogramm erzielte folglich einen Return
on Investment (ROI) in Höhe von 271 Prozent. Außerdem sei die Mitarbeiterzufriedenheit um 13 Prozent gesteigert worden. 94
Wenn gebeutelte Personalentwickler solche Resultate lesen, bekommen sie feuchte Augen und möchten es in ihrem Unternehmen
gleichtun. Endlich Anerkennung. Vielleicht mal einen euphorischen Händedruck vom obersten Chef. Roter Teppich morgens beim
Reinkommen? Na gut – man muss ja nicht übertreiben. Doch plötzlich tut sich der Morast der Realität unter den Füßen auf. Es
wird deutlich, was es wirklich heißt, wenn man Weiterbildung durch diese vier Prüfstände jagt. Es kostet viel mehr Arbeit
und Aufwand. Man muss viele Zahlen, Daten und Fakten erfassen. Und schon klingeln die Worte von Personalkollegen, Vorgesetzten
und Mitarbeitern in den Ohren: »Ich komme gar nicht mehr zu meiner eigentlichen Arbeit vor lauter Administration.« Schließlich
zeigt die Erfahrung mit dem Zielvereinbarungssystem im Unternehmen, dass etliche Zeitgenossen um des lieben Friedens willen
irgendwelche Zahlen generieren.
Und wissen Sie, was man beim Durchlesen von Success-Stories am ehesten vergisst? Sie investieren besagte 129 227 Euro für
das Trainingsprogramm, machen eine Evaluation nach allen Regeln der Sozialwissenschaften und kommen hinterher zu der schlichten
Erkenntnis: Ein Satz mit X – das war wohl nix. Keine Veränderungseffekte. Wenn Sie Pech haben, ist sogar eine Verschlechterung
eingetreten. Auf welchem Tablett wollen Sie dann Ihren Kopf servieren lassen?
Kurzum: Man muss also nicht nur noch mehr Geld in die Hand nehmen, um die Weiterbildung nebst Bildungscontrolling
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