Die Welfenkaiserin
auf seine Schultern zu klettern. Schließlich hatte die Kaiserin nicht genau bestimmt, wessen Füße Anna tragen sollten.
In Tours verbrachte Ludwig die meiste Zeit in der Kirche. Er flehte nicht nur Gott um Hilfe an, sondern bat auch Sankt Martin, den Schutzheiligen des Kaiserhauses, ihm beizustehen. An dessen Namenstag, dem 11. November, wurde der erneute Schlag gegen Pippin eingeleitet.
Der Kaiser hatte sich vergeblich Hilfe von oben erhofft. Von da kam nur unerbittlicher Regen. Selbst die ältesten Menschen in Aquitanien konnten sich nicht daran erinnern, einen derart nassen Herbst erlebt zu haben. Sie konnten es auch nicht fassen, dass ihr Kaiser im Kampf gegen seinen Sohn Pippin, den sie immer noch als ihren König ansahen, mit Feuer und Schwert ganze Landstriche seines eigenen Reichs verwüstete. Doch es war gefährlich, Derartiges zu äußern, denn Gehöfte, Anwesen und Weiler wurden niedergebrannt, wenn des Kaisers Männer dort Anhänger Pippins vermuteten.
Vom aufrührerischen Sohn aber fehlte jede Spur. Das gesamte Unternehmen scheiterte schließlich am Wetter. Der tiefe Boden erschwerte Ludwigs Heer das Vorankommen und verdarb die Hufe der Pferde. Als Ende des Monats Frost einsetzte, stürzten nahezu alle Tiere auf dem eisigen Boden. Mit Fußvolk allein konnte Ludwig den Krieg gegen Pippin nicht gewinnen. Es blieb ihm keine Wahl. Er musste sich von der Jahreszeit geschlagen geben und umkehren. Jetzt erst setzten sich Pippins Mannen in Bewegung und verfolgten die kaiserliche Familie. Nur mit knapper Mühe konnte sie unbeschadet über die Loire setzen. Völlig erschöpft ritten Ludwig und Judith mit ihrem Gefolge auf der Kaiserpfalz in Le Mans ein und erfuhren zu ihrer Überraschung, dass Heiligabend angebrochen war.
»Vor genau einem Jahr war die ganze Familie in Aachen vereint«, bemerkte Ludwig sehnsüchtig.
»Aber alles andere als friedlich!«, erinnerte ihn Judith. »Und damit meine ich nicht nur die Streitereien zwischen Irmingard, Adelheid, Hemma und mir. Hättest du Pippin damals strenger bewacht, hätte er sich nicht davonschleichen können, und alles wäre anders gekommen.«
Sie nahm sich vor, künftig nichts mehr dem Schicksal oder Ludwig allein zu überlassen. Und das nächste Weihnachtsfest friedlich in Aachen zu verbringen.
Das sollte ihr nicht vergönnt sein.
Ende Januar begrüßte Papst Gregor IV. im Lateran zu Rom Lothar mit ausgesuchter Herzlichkeit. Den Heiligen Vater plagten seit der Entmachtung und Verbannung dieses Kaisersohnes nach Italien größte Sorgen. Er kannte Lothars Ehrgeiz, dem das ziemlich kleine Gebiet des ehemaligen langobardischen Reiches mit Sicherheit nicht genügen würde, und er fürchtete um die Besitzungen der römischen Kirche. Nichts würde Lothar davon abhalten, sich einen Anhang durch die Verleihung von Gütern zu sichern, die nach der Konstantinischen Schenkung dem Patrimonium Petri gehörten, dem Kirchenstaat. Gregor erschauerte, wenn er daran dachte, wie Karl der Große sich an manchem Kirchenland gütlich getan hatte. Sein Enkel Lothar musste schnellstens aus Italien verschwinden, koste es, was es wolle.
»Es ist eine Freude, dich zu sehen, mein Sohn«, heuchelte Gregor, als sich Lothar über den Petrusring beugte, »und deine liebreizende Gemahlin.«
Irmingard, die ebenfalls vor ihm kniete, brach in Tränen aus.
Der Papst legte sacht die Hand auf ihren schwarz betuchten Kopf und fragte: »Was bekümmert deine edle Gemahlin?«
»Heiliger Vater«, sprach Lothar mit gesenktem Kopf. »Das Herzeleid unserer Familie überwältigt sie. Meine beiden Brüder Pippin und Ludwig haben mich gesandt, den in Rom gekrönten und gesalbten Kaiser, um vom Heiligen Stuhl Hilfe zu erflehen. Es ist eine sehr traurige Geschichte.«
Gott hat meine Gebete erhört, freute sich Papst Gregor, als Lothar weitersprach und die Not schilderte, in die das Frankenreich durch Kaiserin Judith geraten sei. Er verstand, dass Ludwigs Angelegenheiten ungleich schlimmer standen als drei Jahre zuvor. Damals hatte der Kaiser mit Bernhard von Barcelona gegen die Bretonen ziehen wollen und als eigentlichen Gegner nur Lothar gehabt. Der hatte zwar seinen Bruder Pippin aufgewiegelt, diesem aber war einzig daran gelegen gewesen, Judith und den kleinen Karl loszuwerden; keineswegs hatte er den Kaiser vom Thron stoßen und Lothar darauf setzen wollen. Doch jetzt, nach der Erniedrigung des Bayernkönigs Ludo und dem schimpflichen Rückzug aus Aquitanien, standen dem Kaiser alle drei älteren
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