Die Welfenkaiserin
Söhne feindlich gegenüber und wünschten, ihn zu entmachten.
»Und du, mein Sohn«, bemerkte Papst Gregor sanft, »willst Frieden schaffen und der Ordinatio imperii wieder zu ihrem Recht verhelfen; das ist auch gut so.«
Lothar und Irmingard hatten sich erhoben. Der Heilige Vater sah mitleidig auf den Tropfen, der unter den tränenroten Augen an Irmingards Habichtsnase hing, und erklärte: »Ich werde dich begleiten, um Frieden zwischen euch zu stiften.«
Endlich würde er Lothar aus Italien entfernen! Und unter dem Schutz des jungen Kaisers und der beiden Könige mit gebietender Sprache das Ansehen des Petrusstuhls jenseits der Alpen geltend machen können. Mit Ludwig hatte er nichts zu schaffen; nie waren sie sich begegnet, Lothar aber war in Rom zum Kaiser gesalbt worden, und seiner Absetzung durch den Vater hatte die Kirche nie zugestimmt. Welch ein freudiger Tag für Rom, wenn dieser unberechenbare Lothar im weit entfernten Aachen auf dem Thron sitzen und dem Patrimonium Petri nicht mehr gefährlich werden könnte! Nach Lothars Besuch sah die Zukunft für den Heiligen Vater weitaus weniger bedrohlich aus. Er bereitete sich darauf vor, in den Norden zu reisen, um den derzeitigen Kaiser durch seinen ältesten Sohn, diesen lästigen Lothar, zu ersetzen.
Nie zuvor war Judith einer solch geschickten Näherin wie Anna begegnet. Nicht einmal Gerswind hätte in solcher Geschwindigkeit die schadhaften Stellen an ihren Gewändern ausbessern oder solch einfallsreiche Verbrämungen erfinden können. Diese einst halb tote Frau, die sie in der Köhlerhütte gefunden hatten, war zur Näherin der Kaiserin aufgestiegen und sorgte dafür, dass die edle Frau zumindest äußerlich Haltung bewahren konnte. Das war auch erforderlich, denn im Inneren Judiths wütete es, und in ihrer Hand zitterte der Brief, den ihr alter Feind, Agobard von Lyon, der Erzbischof mit den gehässigen Rosinenaugen, dem Kaiser geschickt hatte.
»Hör dir das an, Ruadbern!«, rief sie zornig und sah blicklos aus ihrem Zelt auf die friedliche Landschaft bei Colmar. »Dieser Giftzwerg schreibt, die Aufbietung aller Krieger habe die Unordnung im Reich verursacht, und alles Unglück stamme von mir, einer gewissenlosen Hexe! Meinetwegen sei die Ordinatio imperii umgestoßen und Lothar seiner Macht als Mitkaiser beraubt worden! Lothar, den der Papst selbst gekrönt und gesalbt hat; ich wusste immer, dass daraus ein Unglück erwachsen wird!«
»Wenn man die Hexe einmal ausnimmt«, meinte der dreiundzwanzigjährige Ruadbern, »ist Agobards Erklärung so unwahr doch nicht!« Lakonisch setzte er hinzu: »Dreh dich nur um, Judi, schau nicht nach hinten, schau nach vorn; dann siehst du nicht das flüsternde Bächlein, das sich silbern durch die Auen windet, wie dein poetischer Freund Walahfrid Strabo sagen würde, sondern die Heere der drei Söhne, denen der Vater den Kampf angesagt hat. Vielleicht hörst du dann auch das Klirren der Waffen.«
»Bitte«, flehte Anna. Es war nicht klar, ob sie Ruadbern zum Schweigen oder Judith zum Stillsitzen anhalten wollte, denn sie war seit Stunden damit beschäftigt, ein neues Marderfell an dem verschlissenen Saum von Judiths Gewand zu befestigen.
»Der Heilige Vater ist eingetroffen und hält sich drüben bei Lothar auf«, sagte Ruadbern. »Vielleicht kann er ja verhindern, dass sich eure Sippe gegenseitig auslöscht.«
Er sprang zur Seite und war verschwunden, ehe Judith ihm eine Ohrfeige versetzen konnte.
»Alles hin«, sagte Anna traurig und blickte auf das Marderfell, das bei Judiths plötzlichem Aufspringen gänzlich vom Saum gerissen war.
»Das kannst du wohl sagen!« Judith setzte sich wieder auf den Schemel. Am liebsten wäre sie sofort zum Zelt jenseits des Tales geeilt, wo Lothar auf den Papst einredete. Aber gerade sie durfte sich nicht rühren. Angeblich hatte ja ihre Einmischung in die Männerdomäne Politik das ganze Übel verursacht. Sie war machtlos.
Seitdem sie an diesem frühen Morgen des 24. Juni in Colmar angekommen waren, hatte sie gemerkt, dass sich die Stimmung gegen Ludwig und sie gewandt hatte. Selbst die Getreuesten der Getreuen mieden ihren Blick, und alle Gespräche verstummten, wenn sie an den Männern vorbeikam.
Ludwig hatte kurz zuvor in Worms beschlossen, die Waffen gegen seine drei Söhne zu gebrauchen, und dafür alle seine Krieger mit einem neuen Treueid verpflichtet.
»Anna«, sprach sie ihre Näherin an, »willst du mir nicht jetzt erzählen, warum dich dein Mann gefesselt in der
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